Veranstaltung: | Tagung BAG Frieden & Internationales I 03. - 05.05.2024 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 7 Antragsberatungen |
Antragsteller*in: | Radosawa Stomporowski |
Status: | Überweisung (AG Osteuropa) |
Verfahrensvorschlag: | Weiterleiten an: AG Osteuropa, um Antrag in die Kernpunkte zu zerlegen und sich mit diesen einzeln und spezifisch mit Ziel der programmatischen Weiterentwicklung auseinanderzusetzen. |
Antragshistorie: | Version 2 |
A3: Schnellere Unterstützung der Beitrittskandidaten des Westbalkan, hegemoniale Dominanz und Einmischung unterbinden
Antragstext
Seit den Jugoslawienkriegen hegt Serbien Anspruch darauf, dass alle Serben in
einer „serbischen Welt“ in einem Staat leben. Weiterhin erkennt Serbien Kosovo
nicht an, die Republika Srpska sucht den Anschluss an Serbien, Kroatien strebt
eine Revision des Abkommens von Washington (1994) und Dayton-Paris (1995) in
Bosnien und Herzegowina und strebt dort die Erweiterung des Einflusses an,
Bulgarien des Ohrider Abkommens (2001) in Nordmazedonien. Die fragile Lage auf
dem Westbalkan droht aufgrund von geopolitischer Unsicherheit erneut zum
Krisenherd zu werden.
Die Friedensabkommen für Bosnien-Herzegowina 1995, Kosovo 1999 und Mazedonien
2001 wurden unter dem Druck der USA geschlossen und haben lange Zeit den Frieden
in der Region garantiert. Die EU hat zwei Mandate - die EUFOR-Mission Althea in
Bosnien und Herzegowina und KFOR im Kosovo - um den Frieden in Südosteuropa zu
sichern. Nach dem russischen Angriff in der Ukraine haben die EU und die USA
ihre Truppen verstärkt, um eine Destabilisierung zu verhindern. Die mögliche
Wahl von Donald Trump bereitet Sorgen über die Stabilität der
Sicherheitsgarantien der USA. Die US-Truppen spielen durch den Stützpunkt Camp
Bondsteel eine besondere Rolle, um die UN-Mandate tiefergehend abzusichern.
Solange der Stützpunkt erhalten bleibt, wird erwartet, dass es keine
militärische Intervention oder Sezessionen in den Balkanstaaten geben wird. Ein
möglicher Rückzug durch Donald Trump könnte jedoch zu einer Eskalation der Lage
führen. Umso wichtiger wird es sein, dass der Frieden in der Region auch ohne
die USA ausreichend gesichert wird.
Neben der militärischen Sicherheit muss auch die zivilgesellschaftliche
Perspektive durch einen schnelleren Beitrittsprozess in die EU verstärkt werden.
Politisch ist der EU das Risiko bewusst und hat daher auch Bosnien und
Herzegowina den Status eines Beitrittskandidaten verliehen.
Russische Desinformation und hegemoniale Interessen beeinflussen jedoch die
Gesellschaften durch extremistische Parteien. Einige EU-Staaten, wie Ungarn oder
jetzt auch die Slowakei, stellen antieuropäische bzw. russische Interessen in
den Vordergrund. Serbien und die Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina
vertreten ebenfalls eine pro-russische Haltung, die sich negativ auf die
Verhandlungen zum EU-Beitritt auswirken.
Die EU steht dabei vor dem Dilemma, die Transformation (schneller) einzufordern
oder Serbien geopolitisch an Russland und China zu verlieren, da Serbien durch
sein Verhalten sowohl die eigene Aufnahme als auch die Aufnahme weiterer
Beitrittskandidaten direkt oder indirekt blockiert, wie im Kosovo oder über die
Serben in der Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina. 2023 versuchte die EU
Serbien zur De-facto-Anerkennung des Kosovo zu drängen und vernachlässigte dabei
mehrere gewalttätige Ereignisse, wie die Ausschreitungen gegen die KFOR-Truppen,
den Truppenaufmarsch an der Grenze zum Kosovo oder den serbischen Terroranschlag
auf Banjska.[1] Wie alle EU-Kandidaten profitiert Serbien von der EU als
Geldgeber, die es auf einen möglichen EU-Beitritt vorbereiten sollen. Allerdings
entfernt sich Serbien weiterhin von den europäischen Werten und orientiert sich
auf dem internationalen Parkett nach Russland, China und den BRIX-Staaten.
[1] Möglicherweise glaubt sich Serbiens Präsident Vucic durch Waffenexporte an
die Ukraine eine solche Vorgehensweise herausnehmen zu können, da er ansonsten
eine enge Verbindung zu Russland pflegt.
Bosnien und Herzegowina: Vor fast 30 Jahren hoffte man durch das
Friedensabkommen von Dayton, die Kriegsparteien durch das Konzept der
Entitätsbildung zu befrieden. In dem Kontext ist es wichtig zu betonen, dass
Gerichtsurteile zur Aufarbeitung der Kriegsverbrechen den Bosnienkrieg 1992-95
nicht als Bürgerkrieg, sondern als einen internationalen bewaffneten Konflikt
einordnen, in dem die politische Führung der Nachbarländer eine entscheidende
Rolle spielten.“[1] Heute werden weiterhin außenpolitische Einflüsse der
Nachbarstaaten über die Ethnien ausgeübt, die destabilisierend wirken und zu
neuen Eskalationen führen können.
Dayton hat zwar insofern weitere kriegerische Auseinandersetzungen beendet und
garantiert den Erhalt des Staates von Bosnien und Herzegowina. Kritisch
betrachtet, hat es den Konflikt jedoch lediglich eingefroren und die ethnische
Teilung in der Verfassung von Bosnien und Herzegowina verankert.
Problematisch ist die ethnische Zementierung und Diskriminierung durch Dayton.
Aufgrund ihrer Religion, ethnischer Zugehörigkeit oder ihres Wohnortes können
etwa 12 Prozent der Bevölkerung nicht für das Amt des Präsidenten oder einen
Sitz im Parlament kandidieren. Diese Posten sind ausschließlich den drei
"konstitutiven Völkern" vorbehalten. Das betrifft ca. 400.000 Minderheiten oder
Bürger*innen, die sich nicht in eine ethnische Kategorie einordnen wollen.
Selbst die konstitutiven Staatsbürger*innen können sich nicht zur Wahl
aufstellen lassen, wenn sie in Gebieten wohnen, in denen sie nicht zur Entität
gehören.[2] Diese Diskriminierung verhindert auch einen Beitritt in die EU.
[1] Tobias Flessenkemper: Westbalkan. Jahrbuch der Europäischen Integration
2023, S. 443.
Sezessionismus: Die Vertreter der Republika Srpska (RS) haben durch ihr
politisches Verhalten keine Anzeichen für eine schnelle EU-Integration gezeigt,
im Gegenteil arbeiten sie an der Zerstörung Bosnien und Herzegowinas, um sich
der „serbischen Welt“, einem Großserbien anzuschließen. Der Präsident der RS
Miloran Dodik hat sezessionistische Gesetze erlassen oder Einreiseverbote gegen
den Hohen Repräsentanten verhängt und damit gegen das Friedensabkommen von
Dayton verstoßen. Nationalistisch-separatistische Interessen stoßen leider auf
nachsichtige Reaktion, dürfen aber von einer EU-Kommission nicht toleriert
werden.
Aber auch die radikal-völkische Kroatenpartei HDZ in BiH von Dragan Covic
untergräbt die Funktionalität der gesamtstaatlichen Institutionen, indem sie,
unterstützt von der politischen Führung in Kroatien eine dritte, kroatisch
dominierte Entität in Bosnien und Herzegowina fordern. Für diese Interessen ließ
sich sogar der OHR Christian Schmidt einbinden und nutzt die ihm vergebenen
„Bonn Power“ für mehrere Wahlinterventionen, um der HDZ BiH entgegenzukommen.
Deutschland und die EU-Kommission dürfen weder solchen hegemonial-
paternalistischen Ansätzen der benachbarten Staaten noch einem unterwürfigen
Entgegenkommen nachgeben.
Zahlreiche Politische Vertreter nutzen dabei Freiräume, die ihnen der autonome
Status zubilligt, um ihre persönliche Macht durch Korruption anzureichern und
geopolitische Interessen zu bedienen.
Minderheitenpolitik als Teil hybrider Kriegsführung
Die Rolle der Republika Srpska in BiH lässt sich mit der der vermeintlichen
Sezessionisten im Donbas vergleichen. Zu Recht hat die Ukraine das Minsker
Abkommen abgelehnt, das einer von Russland inszenierten Minderheit das Recht auf
Mitbestimmung und Mitwirkung im Sinne einer Selbstverwaltung einräumen sollte
und als Teil hybrider Kriegsführung angesehen werden kann. Es ging darum,
Entscheidungen auf staatlicher Ebene zu blockieren und letztlich eine Sezession
zu erreichen. Aus ähnlich gelagerten Gründen will das Kosovo keine
Selbstverwaltungsrechte für die serbische Minderheit im Norden einführen und
blockiert an dieser Stelle eine Einigung mit Serbien.
Verfassungsdiskussionen zugunsten nationaler Minderheiten sind auf dem
Westbalkan en Vogue. Bulgarien blockiert derzeitig den Beitritt Nordmazedoniens
durch nationalistische Forderungen. Als Lösung hat Frankreich den
Kompromissvorschlag eingebracht die bulgarische Minderheit in die Verfassung
einzuschreiben. Aktuell entwickelt sich in Montenegro ein ähnlicher Diskurs, in
dem die montenegrinischen Serben fordern, die Verfassung in eine Ethno-
Föderation mit den beiden größten Ethnien, die Montenegriner und Serben,
umzuwandeln[1]. Dadurch würde jedoch ein Teil aller gleichberechtigten
Bürger*innen zu „Anderen“ mutieren, die man einem undefinierten rechtlichen
Zustand überließe[2] – wie in BiH.
Zusammenfassung der Forderungen:
- Der Frieden in der Region muss auch ohne die USA ausreichend durch starke
Sicherheitsmandate gesichert wird.
- Da die intensiven Bemühungen der EU um die Anerkennung des Kosovos durch
Serbien gescheitert sind, bedarf es eines neuen Konzeptes. Serbien sollte
aus geopolitischen Gründen Beitrittskandidat bleiben, aber nicht nur die
finanziellen Unterstützungen der EU in Anspruch nehmen können, ohne den
Beitrittsprozess voranzubringen.
- DasAbkommen von Dayton muss zu einem echten Frieden unter den
Nachbarstaaten weiterentwickelt werden, bei dem die Sicherheit nicht mehr
durch UN-Truppen abgesichert werden braucht. Dazu bedarf es auch der
Überarbeitung der Verfassung und Anstöße auf mehreren Ebenen:- Kroatien und Serbien verpflichten sich dabei, jegliche Ansprüche und
hegemonialen Einmischungen zu unterlassen, da diese eine
Weiterentwicklung aus der Gesamtgesellschaft BuH heraus verhindern. - Die europäische Kommission hat solche Einflüsse der Nachbarstaaten
sorgfältig zu verfolgen (Monitoring) und zu unterbinden
(Sanktionen), um eine Destabilisierung oder Eskalation zu
verhindern.
Insgesamt muss ein Appeasement in den Westbalkanstaaten, welches die
Täter nur zu weiteren destruktiven Aktionen ermuntert, verhindert
werden. Es müssen strengere und schnellere Sanktionen gegen
diejenigen verhängt werden, die eine hegemoniale Dominanz und
Separatismus anstreben und multiethnische Staaten zersetzen, die
Wahlen manipulieren, Gewalt anwenden sowie terroristische Anschläge
ausüben. Eine schnellere Reaktion zur Unterbindung solch
destruktiver Verhaltensweisen durch Deutschlands und der EU-
Kommission ließe einen inneren demokratischen Prozess befördern,
ermutigt die Gesellschaftlichen Kräfte selbstbestimmt ihre Probleme
in die Hand zu nehmen und ermöglicht letztlich einen schnelleren
Beitritt der Westbalkanstaaten.
- Kroatien und Serbien verpflichten sich dabei, jegliche Ansprüche und
- Um die innere ethnische Aufspaltung und Diskriminierung zu überwinden,
müssen wir eine glaubwürdige Politik der EU einfordern. Deutschland und
die europäische Kommission müssen eine stärkere Rolle in Bezug auf die
Menschenrechte und Demokratie einnehmen sowie den Prozess einer gerechten
Verfassung flankierend unterstützen.
Als Bündnis90/DIE GRÜNEN sind für uns Minderheitenrechte ein wichtiger
Aspekt der politischen Teilhabe. Es wäre unter Beteiligung von
Verfassungs- und weiteren Expert*innen sowie Betroffenen zu prüfen, ob
solche Verfassungen mit definierten Minderheiten nicht erst zu einer
Ethnisierung führen bzw. mittlerweile auch Teil einer hybriden
Kriegsführung sind, die Unfrieden in die Gesellschaft hineintragen und
Sezessionen vorbereiten sollen. Alternative Entwürfe dazu wären
möglicherweise inklusive Rechte für alle Staatsbürger*innen unter
Einbeziehung ihrer Sprache, Kultur und Religion.
- Es braucht eine nachhaltige diplomatische Offensive seitens der EU/USA.
[2] Eine ausgesprochen kluge Replik Dr. Olivera Komar: „Montenegro ist ein
Zivilstaat, in dem der grundlegende Träger der Souveränität der Bürger ist und
nicht eine oder mehrere einzelne ethnische Gemeinschaften, unabhängig von ihrer
Anzahl (Artikel 2 der Verfassung Montenegros – „Der Träger der Souveränität ist
ein Bürger, der die montenegrinische Staatsbürgerschaft besitzt.“
https://www.antenam.net/stav/284905-crna-gora-gradjana-ili-konstitutivnih-naroda
[1] Möglicherweise glaubt sich Serbiens Präsident Vucic durch Waffenexporte an
die Ukraine eine solche Vorgehensweise herausnehmen zu können, da er ansonsten
eine enge Verbindung zu Russland pflegt.
[2] Tobias Flessenkemper: Westbalkan. Jahrbuch der Europäischen Integration
2023, S. 443.
Kommentare
Radosawa Stomporowski:
Daher dürfte der Antrag jetzt verständlicher sein und hoffentlich auf breite Zustimmung stoßen.
Gisela Kallenbach:
Sava :
bist du interessiert an der Schreibgruppe?
Ich werde über die AG Osteuropa einen Aufruf starten.
Danke für die Rückmeldung
Gisela kallenbach:
VG