Veranstaltung: | Tagung BAG Frieden & Internationales I 03. - 05.05.2024 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 7 Antragsberatungen |
Antragsteller*in: | Jakob Lindenthal, KV Dresden |
Status: | Überweisung (AG Bundeswehr) |
Verfahrensvorschlag: | Weiterleiten an: AG Bundeswehr, um Antrag in die Kernpunkte zu zerlegen und sich mit diesen einzeln und spezifisch mit Ziel der programmatischen Weiterentwicklung auseinanderzusetzen. |
Eingereicht: | 12.04.2024, 19:49 |
A2: Wirksame Verteidigungsfähigkeit und nachhaltige Unterstützung für die Ukraine jetzt forcieren!
Antragstext
Wirksame Verteidigungsfähigkeit und nachhaltige Unterstützung für die Ukraine
jetzt forcieren!
Aktuelle Kriegssituation
Mehr als zwei Jahre nach dem Beginn der russischen Vollinvasion sind die Fronten
weitgehend statisch. Das Fehlen von Material und zunehmend auch Personal auf der
ukrainischen Seite führt zusehends zu einer Situation, in der die russischen
Streitkräfte die Initiative ergreifen können und der Ukraine einen
Zermürbungskrieg aufzwingen, der sowohl das Gefechtsfeld als auch zivile
Infrastruktur und das Alltagsleben betrifft. Durch die größere mobilisierbare
Bevölkerung, große quantitative Materialreserven und die absolute Befehlsgewalt
einer Diktatur wird sich die aktuelle Situation ohne eine massive Stärkung der
ukrainischen Armee nicht ändern und die Ukraine droht unverschuldet in einen
unabsehbaren Abnutzungskampf gezogen zu werden. Angesichts der für die
russischen Führung im Rahmen ihrer autoritären Kriegsökonomie günstigen
Ausgangslage ist derzeit keine glaubwürdige und nachhaltige diplomatische
Beendigung des Kriegs in Aussicht. Die russischen Drohungen mit einer Eskalation
in einen Atomkrieg sind willkürlich und entbehren jeder rationalen Grundlage.
Die strategische Gesamtsituation ist derzeit unberechenbarer als beispielsweise
im Kalten Krieg, doch geht die Unberechenbarkeit allein vom russischen Regime
aus und kann auch durch Appeasement höchstens scheinbar, aber nicht strukturell
verringert werden. Deshalb werden die Drohungen im Folgenden als nicht
handlungsleitend betrachtet.
Folgen des fortgesetzten Angriffskriegs Russlands für die Ukraine
Durch den Angriff Russlands wird die Ukraine ihrer legitimen, souveränen
Entwicklungsmöglichkeiten beraubt. Millionen Menschen wurden bereits vertrieben
und zum Opfer verschiedener Arten schwerwiegender Gewalt durch das russischen
Militär und das zivile Verwaltungssystem der russischen Diktatur. Die
zehntausenden Ermordeten, Gefallenen und Verwundeten hinterlassen Schmerz und
Traumata in ihren sozialen Umfeldern. Auf der politischen Ebene führt der Krieg
notwendigerweise zu einer Stagnation demokratischer Reformen in der Ukraine, da
die Kriegsführung im Angesicht der massiven Bedrohung zentral organisiert werden
muss. Insgesamt beraubt der Krieg die ukrainische Nation der Möglichkeit, ihren
selbstgewählten Pfad in eine freiheitlich-demokratische, europäische Zukunft zu
beschreiten.
Globale Folgen und Konsequenzen für den demokratischen Teil Europas
Von der bisher nicht gelungene Eindämmung der russischen Aggression und die sich
offenbarenden Materialengpässe und Uneinigkeit bei der Unterstützung der Ukraine
geht das verheerende Signal an gewaltbereite autoritäre Staaten weltweit aus,
dass es keine Allianz demokratischer Staaten gibt, die bereit ist, die
Demokratie glaubwürdig vorbeugend zu schützen und im Angriffsfall wirksam zu
verteidigen. Da die meisten demokratischen Staaten vom Ausmaß der Bedrohung
überrascht und überfordert wurden, wird akuter Nachbesserungsbedarf im Bereich
der nationalen und staatenübergreifenden militärischen Verteidigungsfähigkeit
deutlich sichtbar. Dieses Zeitfenster hoher Verwundbarkeit im Bezug auf
territoriale Verteidigung birgt ein hohes Eskalationsrisiko angesichts weiterer
denkbarer Angriffsszenarien autoritärer Staaten auf ihre Nachbarn, wie ein
möglicher Annexionsversuch Chinas gegenüber Taiwan oder ein Angriff des Iran auf
Israel. Insgesamt schadet die schwache Verteidigungsallianz der demokratischen
Staaten weltweit dem Ansehen der Demokratie und führt das inkonsequente
Sanktionsregime gegenüber Russland sogar zu einem Erstarken autoritärer
Allianzen, die weltweit eine Gefahr für die Demokratie und nachhaltige
menschliche Entwicklung darstellen.
Kritik am Vorgehen der Bundesregierung
Trotz der vor mehr als zwei Jahren ausgerufenen Zeitenwende befindet sich die
Bundeswehr und befinden sich die europäischen Streitkräfte weiterhin in einem
strukturell dysfunktionalen Zustand. Die Beschaffungs- und
Rekrutierungsgeschwindigkeit ist der Bedrohungslage in keiner Weise angemessen.
Insbesondere die Organisation von Materialbeschaffung trägt in keiner Weise der
Verlust- bzw. Verbrauchsrate Rechnung, die derzeit auf dem Gefechtsfeld in der
Ukraine zu beobachten bzw. für Deutschland im Verteidigungsfall zu erwarten ist.
Genehmigte Nachbeschaffungen einer niedrigen zweistelligen Zahl an Kampfpanzern
bzw. Grundsteinlegungen für Munitionsfabriken, deren Zielproduktionsmengen im
Vergleich zum derzeitigen Munitionsverbrauch der ukrainischen Streitkräfte
marginal sind, genügen lediglich für Symbolpolitik. Ohne Zweifel waren westliche
Materiallieferungen für die ukrainischen Streitkräfte entscheidend für das
Stoppen des russischen Vormarschs, doch das Volumen und die Qualität der
gelieferten Waffen und sonstigen Systeme fällt immer weiter hinter die
Erfordernisse des legitimen Verteidigungskampfes der Ukraine zurück.
Insbesondere brauchen die ukrainischen Streitkräfte dringend mehr
Marschflugkörper und sonstige Präzisionswaffen, mit denen russische Kräfte weit
hinter der Front getroffen und Bewegungen auf dem Land, zu Wasser und in der
Luft unterbunden werden können. Doch statt die Ukraine wirksam zu unterstützen,
betreibt die Bundesregierung unter der Führung des Kanzleramts eine Starker-
Mann-Symbolpolitik nach innen sowie ein unausgesprochenes Appeasement gegenüber
dem russischen Regime, dessen Angst-Narrative oftmals in der Kommunikation der
Bundesregierung übernommen und somit in der deutschen Öffentlichkeit verbreitet
werden. Das ist strategisch unverantwortlich und politisch unnachhaltig.
Insgesamt fehlt bei der in Erfahrung zu bringenden Strategie der Bundesregierung
an Szenarien und realisierbaren Handlungsansätzen, wie sich der Krieg entwickeln
kann, welche Handlungspfade zur Verfügung stehen und ggf. mit welchem
Ressourceneinsatz beschritten werden können. Es existiert über zwei Jahre nach
dem Kriegsbeginn keine umfassende, tragende Strategie, wie mit aktiver
Beteiligung Deutschlands die europäische Friedensordnung wiederhergestellt
werden kann. Für eine wehrhafte Demokratie kommt die derzeitige Regierungsarbeit
einem Armutszeugnis gleich.
Forderungen und Ausblick
Deutschland braucht klare Szenarien und Ziele bei der Erreichung seiner
Verteidigungsbereitschaft im Rahmen der EU und der Nato. Die Ziele müssen mit
Ressourcen und Maßnahmen hinterlegt sein, die sich in Umfang und Zeithorizont am
Bedarf richten und nicht an der politischen Opportunität. Das Ziel bei der
Unterstützung der Ukraine muss mindestens sein, im Jahr 2024 signifikanten
russischen Vormarsch und Erholung der russischen Kräfte zu verhindern und
darüber hinaus in den Folgejahren legitime ukrainische Gegenoffensiven zur
Befreiung besetzten Staatsgebiets zu ermöglichen. Diese Maßnahmen werden es
wahrscheinlich erfordern, über das Zwei-Prozent-Ausgabenziel und das
Sondervermögen hinauszugehen und können z.B. eine rasche Wiedereinführung des
Wehrdienstes erfordern sowie gesetzliche Änderungen und operative Maßnahmen zur
Bereitstellung von zusätzlichen Industrieressourcen zur Rüstungsproduktion.
Keine dieser Maßnahmen ist angenehm oder politisch risikofrei. Doch die Realität
richtet sich nicht nach weltanschaulichen Präferenzen oder Zahlenvorgaben zum
Verteidigungshaushalt. Für die genannten strategisch wichtigen Maßnahmen hat die
Bundesregierung nun zwei Jahre weitgehend ungenutzt verstreichen lassen. Wir
erkennen die realistische, für eine wehrhafte Demokratie eintretende
Grundhaltung der bündnisgrünen und liberalen Regierungsbeteiligten an. Doch wir
mahnen dringend an, dass sporadische unzufriedene Kommentare zur
sozialdemokratischen Sicherheitspolitik kein ausreichender grüner Beitrag zur
Verteidigung der Demokratie sind. Nur aufmunitionierte Panzer auf dem Hof und
flugfähige Kampfjets im Hangar sind die Sprache, die Diktaturen in dieser
Gesamtlage verstehen. Es braucht zeitnah greifbare, einsatzfähige Ressourcen.
Willensbekundungen gleich welcher Stärke im Parlament und im Kabinett genügen
hier nicht. Es braucht jetzt Klartext und politische Druckmittel in der
Regierungskoalition. Am Ende des Prozesses muss gesicherte, umfassende
Unterstützung für die Ukraine stehen und eine nach realistischen Szenarien
einsatzbereite Bundeswehr. Die SPD ist strukturell so schwach, dass sie sich
keine Neuwahlen erlauben kann. Also ist es jetzt Zeit, für weitergehende
Waffenlieferungen und wirksame Verteidigungsbereitschaft einzutreten ohne Scheu
vor einer Koalitionskrise. Das Außenministerium muss sich auch dafür einsetzen,
dass unsere Bündnispartner die Ukraine stärker unterstützen und ihren
Versprechen nachkommen. Dafür gilt es jetzt in die diplomatischen Offensive zu
gehen. Als Bündnisgrüne stehen wir unter den Regierungsparteien in Bezug auf
Zustimmungswerte im Fall von Neuwahlen am robustesten da. Diese Robustheit
müssen wir für die Verteidigung der Demokratie in Europa nutzen. Die Kosten für
einen Kaltstart hin zu einer wehrhaften Demokratie sind hoch. Doch sie sind
gering im Vergleich zum Schaden, der durch eine dauerhafte Erosion der
internationalen Rechtsordnung und durch ein geopolitisches Klima der
Rechtlosigkeit entsteht. Es kommt jetzt auf unser Regierungshandeln an. Die
aktuelle Situation ist ein Prüfstein für unser staatstragendes
Selbstverständnis. Deshalb unser Ruf an alle grünen Regierungsmitglieder und
Fraktionsmitglieder: Die Demokratie muss von uns verteidigt werden. Wir stärken
euch den Rücken. Packt es an!
Begründung
Nach der russischen Vollinvasion in der Ukraine ab dem 24. Februar 2024 befindet sich der Krieg im dritten Jahr. Durch den entschlossene Verteidigungskampf der ukrainischen Streitkräfte und Zivilgesellschaft und die substanzielle materielle und organisatorische Unterstützung demokratischer Staaten weltweit ist es gelungen, eine Zerschlagung und dauerhafte Unterdrückung des gesamten ukrainischen Staates zu verhindern. Dennoch haben sich die Anstrengungen als ungenügend erwiesen, um die russische Invasionsarmee zurückzuschlagen und die Herrschaft des Völkerrechts wieder zu etablieren. Die russische Diktatur mobilisiert sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen, um den Krieg zu gewinnen. Für die kommenden Monate und Jahre scheinen ihr nach den vorhandenen nachrichtendienstlichen Erkenntnissen genug Ressourcen zur Verfügung zu stehen, um ihren völkerrechtswidrigen und auf Äußerste grausamen Feldzug fortzusetzen. Es sind weitere russische Offensivaktionen zu erwarten, welche zur Zerstörung und Besetzung weiteren, noch freien ukrainischen Gebiets führen können. Derzeit ist nicht zu erkennen, dass die russische Seite zu ernsthaften Verhandlungen bereit ist, insbesondere nicht, weil es keine militärische Ultima Ratio gibt, die den maßlosen und unberechtigten Forderungen des russischen Regimes Einhalt gebietet. Dies muss uns die Erfahrung mit dem Appeasement diktatorischer Regime aus der Vergangenheit lehren.
Vor dem Hintergrund dieser Sachlage werbe ich darum, dass die Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden und Internationales des Bündnis 90/Die Grünen die im Antrag dargelegte Situation anerkennt und der bündnisgrünen Bundestagsfraktion und den grünen Regierungsmitgliedern mit Nachdruck den Rücken stärkt, die konsequente und zeitnahe Stärkung der Bundeswehr und nachhaltige Unterstützung der Ukraine zu forcieren. Die grausame Kriegsrealität richtet sich nicht nach den Vorsätzen, mit denen wir 2021 Wahlkampf betrieben und eine Regierungskoalition gebildet haben. Jetzt kommt es auf greifbare Sicherheitsinstrumente und eine klare, realisierbare militärische Ultima Ratio gegenüber der skrupellosen russischen Diktatur an, sonst wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten das Konzept Demokratie weltweit irreparablen Schaden erleiden. Die Folgen wären nicht nur militärtaktisch, sondern insbesondere sozial, für die Umwelt und sozial schwache Gruppen verheerend. Deshalb liegt es jetzt an uns, entschieden für grüne Werte einzustehen. Diese müssen als tiefste Grundlage den Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit beinhalten, sonst ist kein Platz für weitergehende Konzepte.
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