Veranstaltung: | Tagung BAG Frieden & Internationales | 24. Februar 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 6 Anträge und Diskussion |
Antragsteller*in: | Mattia Nelles, Sonja Schiffers, Holger Haugk, Sava Stomporowski, Britta Jacob |
Status: | Angenommen |
Abstimmungsergebnis: | Ja: 19, Nein: 2, Enthaltungen: 2 |
Antragshistorie: | Version 3 |
A2NEU: Ukraine jetzt noch entschiedener unterstützen!
Antragstext
Vor 10 Jahren entschieden sich die Ukrainer*innen in der Revolution der Würde
auf dem Maidan in Kyjiw für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und eine Anbindung
an Europa. Diesen Freiheitsdrang und das Bestreben, Teil der europäischen
Familie zu werden, bestrafte Putin mit der Annexion der Krim und dem Krieg in
der Ostukraine. Seit nunmehr über 10 Jahren führt Russland Krieg gegen die
Ukraine und gegen die europäische Friedensordnung.
Für die Ukraine beginnt mit 2024 das dritte und wohl schwierigste Kriegsjahr
seit der russischen Vollinvasion. Russland setzt seinen brutalen Angriffs- und
Vernichtungskrieg inmitten Europas mit unverminderter Härte und
Rücksichtslosigkeit fort. Die ukrainische Befreiungsoffensive blieb hinter den
Hoffnungen zurück und die russischen Streitkräfte konnten seit Ende 2023 wieder
verstärkt Gebiete einnehmen.
Täglich werden ukrainische Städte und zivile Infrastruktur Ziele barbarischer
Angriffe. Offiziell wurden über 20.000 ukrainische Kinder nach Russland
verschleppt, ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht. Der gezielte Terror soll
den Widerstandswillen der Ukrainer*innen brechen.
Putins Kriegswirtschaft läuft auf Hochtouren und Russland gibt nach Schätzungen
sechs bis acht Prozent seiner Wirtschaftsleistung und gute 40 Prozent seiner
Staatsausgaben für Militär und Geheimdienste aus. Gleichzeitig setzt Putin auf
die sinkende politische und militärische Unterstützung des Westens und darauf,
die Ukraine Schritt für Schritt militärisch zurückdrängen und schlagen zu
können. Das darf Russland nicht gelingen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben lange vor dem 24. Februar 2022 vor der Möglichkeit
eines russischen Angriffs und vor allem auch vor den bestehenden Abhängigkeiten
von russischen fossilen Energien und dem damit verbundenen Druckpotenzial
seitens Putins gewarnt. Wir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben erheblich dazu
beigetragen, dass die Bundesregierung die Ukraine und die geflüchteten
Ukrainer*innen in Deutschland mit Hilfen in Höhe von 32,2 Milliarden EUR
erheblich unterstützt und in diesem Jahr ihre militärische Hilfe auf knapp acht
Milliarden EUR fast verdoppelt hat.
Mit Blick auf die militärische Lage müssen wir heute aber feststellen, dass die
Hilfe Deutschlands, Europas und weiterer Partnerländer nicht ausreicht, damit
die Ukraine sich effektiv verteidigen und ihre Souveränität wiederherstellen
kann.
Wie im BAG-Beschluss vom 27.08.2022 festgehalten, stehen wir weiterhin fest an
der Seite der Ukrainer*innen und fordern daher, noch entschlossener zu handeln,
unsere umfassenden Hilfen weiter auszubauen und eine langfristige Unterstützung
für die Ukraine sicherzustellen. Die Hilfe muss über die nächsten Monate und die
nächste ukrainische Befreiungsoffensive hinausgehen. Daher fordern wir die
Bundesregierung auf, eine langfristige Strategie für die Ukraine zu entwickeln.
Teil einer solchen Strategie sollte sein:
Schaffung eines neuen Friedensvermögens, um die Finanzierung der Ukraine-
Hilfen über die nächsten Jahre außerhalb der Schuldenbremse mit mindestens
0,25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts abzusichern.
Neue, gemeinsame und umfassendere europäische Bestellungen und die zügige
Bereitstellung von Munition und Waffensystemen für die Ukraine. Dazu
gehört die Lieferung von Distanzwaffen wie der Taurus Marschflugkörper.
Waffensysteme aus deutschem Bestand sollten unabhängig einer Entscheidung
auf europäischer Ebene möglichst schnell an die Ukraine geliefert werden.
Der langfristige Übergang der ukrainischen Streitkräfte zu NATO-
Fähigkeiten und -systemen und einen glaubwürdigen und zeitnahen Pfad in
Richtung einer NATO-Vollmitgliedschaft
Die Konfiszierung russischer Staatsvermögen in Europa mit politischem
Willen aktiv voranzubringen.
Heute halten Diktator Putin und Russland unvermindert an der Absicht fest, die
Ukraine als unabhängige Nation von der Karte Europas zu tilgen. Eine
Verhandlungslösung und Kompromisse mit diesem Russland werden dadurch enorm
erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht.
Unser gemeinsames europäisches Ziel sollte es sein, den Frieden zu gewinnen und
die Ukraine dazu zu befähigen, ihre Grenzen von 1991 wiederherzustellen, das
Land schnellstmöglich wiederaufzubauen, in die EU zu integrieren und dann
langfristig durch NATO-Mitgliedschaft abzusichern. Gleichzeitig muss Russland
klargemacht werden, dass es für seine Kriegsverbrechen und immensen
Kriegsschäden zur Rechenschaft gezogen wird.
Wenn wir jetzt nicht entschlossen handeln, droht die Ukraine zu fallen. Das
würde unfassbares Leid für Millionen Ukrainer*innen, einen Verlust ihrer Heimat
undInstabilität in Europa bedeuten. Ein erstarkter Putin bedroht nicht nur die
Ukraine, sondern unsere gemeinsame Friedensordnung. Es ist daher in unserem
gemeinsamen Interesse, die Ukrainer*innen mit aller Kraft zu unterstützen, die
mit ihrem mutigen Kampf nicht nur ihre, sondern auch unsere Werte, unsere
Freiheit und Demokratie in Europa und der Welt verteidigen.
Begründung
Verantwortung, mehr zu tun
Deutschland tut mittlerweile sehr viel und ist zu einem der verlässlichsten Partner der Ukraine geworden. Gerade die Führungsrolle im Bereich der Flugabwehr ist für die Zivilist*innen in der Ukraine von größter Bedeutung. Darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Flugabwehr ist eine Bedingung, um den Krieg im Sinne der Ukraine zu entscheiden, aber alleine nicht ausreichend. Als größte Volkswirtschaft Europas haben wir die Verantwortung, mehr zu tun.
Neue Zusagen aus Skandinavien, Großbritannien oder auch die verdoppelte deutsche Militärhilfe reichen bei Weitem nicht aus, die immensen ukrainischen Bedarfe an Munition, Ersatzteilen, Ausbildung und Waffensystemen abzudecken. Neue umfassende Lieferungen für die Ukraine brauchen große neue Aufträge für die europäische Industrie. Mit kleinen Bestellungen wird die Produktivität und Leistungsfähigkeit nicht erhöht werden und wir werden der Ukraine weiterhin nicht genug Munition, Ersatzteilen und Systeme liefern können.
Distanzwaffen als wichtiges Instrument im Abwehrkampf
In einem schwierigen Abwehrkampf der Ukraine sind Distanzwaffen von hoher militärischer Bedeutung. Die von Großbritannien und Frankreich bereitgestellten Marschflugkörper haben der Ukraine erstmals die Fähigkeit gegeben, wichtige Logistik- und Kommandostrukturen der russischen Armee in der Ukraine zu treffen.
Die erfolgreiche Integration und verlässliche Nutzung zeigen uns Deutschen, dass es keine Gründe gibt, unsere eigenen Marschflugkörper vom Typ Taurus nicht abzugeben. Ohne diese Marschflugkörper geht der Ukraine die Munition aus. Deutschland sollte deswegen zügig die Abgabe vorbereiten und bestehende, aber nicht nutzbare Systeme beim Produzenten modernisieren und gleichzeitig neue Wirkmittel nachbestellen.
Planbarkeit der deutschen Ukraine-Hilfen durch die Schaffung eines Friedensvermögens
Gemeinsame europäische Unterstützung bleibt zusammen mit der bilateralen internationalen Hilfe von größter Bedeutung für die Ukraine. Die Anfang Februar beschlossene Ukraine-Fazilität der Europäischen Union in Höhe von 50 Milliarden EUR ist wichtig, deckt aber nur einen Teil der ukrainischen Finanzierungsbedarfe von 2024 bis zum Jahr 2027 ab. Alleine im Jahr 2024 benötigt die Ukraine nach eigenen Angaben knapp 40 Milliarden USD an Finanzhilfen. Als größte Volkswirtschaft Europas sollte Deutschland zudem die Pläne der Europäischen Kommission unterstützen, dass auch die Friedensfazilität jährlich ausreichend finanziert ist und militärische Beschaffungen im europäischen Rahmen für die Ukraine weiter vorangebracht werden können.
Deutschland ist nach den USA der wichtigste und größte Parnter der Ukraine. Doch darauf sollten wir uns nicht ausruhen. Nur durch die eigene Aufstockung der Hilfen können wir eine Vorbildfunktion einnehmen und andere effektiver zu mehr Unterstützung bewegen. Eine umfassendere Unterstützung bedarf einer langfristigen Finanzierung. Diese sollte in Form eines eigenen Sondervermögens als Friedensvermögens sichergestellt und außerhalb der Schuldenbremse finanziert werden. So kann sichergestellt werden, dass die Ausgaben nicht direkt in Konkurrenz zu laufenden Ausgaben verstanden wird. Die Höhe der Ausgaben sollte mindestens 0,25 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukt entsprechen.
Russische Staatsvermögen konfiszieren
Der Westen hat 300 Milliarden EUR an Vermögen der russischen Zentralbank eingefroren. Alleine in der EU befinden sich rund 210 Mrd. Euro eingefrorener russischer staatlicher Vermögen. Bisher konnten sich die EU-Mitgliedstaaten aber nur dazu durchringen, die Erträge dieses Vermögens an die Ukraine auszuzahlen. Angesichts der über 400 Milliarden Kriegsschäden und sinkender politischer Unterstützung im Westen werden Strafmaßnahmen gegen Russland immer wichtiger. Führende Jurist*innen argumentieren, dass die Konfiszierung von sogenannten Gegenmaßnahmen rechtlich möglich ist.
Bisher zögert die Bundesregierung, die Konfiszierung aktiv voranzutreiben. Deutschland sollte die Debatten innerhalb der EU und G7 zu diesem wichtigen Thema anführen. Das gemeinsame Ziel muss sein, die Mittel der Ukraine zur Verfügung zu stellen. Die Konfiszierung würde ein wichtiges Signal an Russland und künftige Aggressoren senden, dass gewaltsame Grenzverschiebungen und die schweren Verletzungen der regelbasierten Ordnung völkerrechtliche Gegenmaßnahmen zur Folge haben werden.
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