A8NEU: Minderheiten-Politik auf dem Westbalkan: Einflussnahme von Nachbarstaaten mit Unterstützung von Russland unterbinden
Veranstaltung: | Tagung BAG Frieden & Internationales I 22.09.2024 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 2 Antragsberatungen |
Antragsteller*in: | Sava Stomporowski |
Status: | Modifiziert |
Eingereicht: | 01.09.2024, 20:15 |
Antragshistorie: | Version 1(01.09.2024) |
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Sava:
Daher hier meine Bitte, die Änderungen anzunehmen.
Uhrzeit war knapp, aber noch vor 0.00 Uhr.
Titel: Ethnischer Nationalismus auf dem Westbalkan: Einflussnahme von Nachbarstaaten mit Unterstützung von Russland unterbinden
Die politische Vision, den Westbalkan in die europäische Union zu führen, wurde nach 2004, nach der Erhöhung der Zahl der südosteuropäischen EU-Mitglieder, vernachlässigt. Erst mit der russischen Vollinvasion der Ukraine sowie der Rückkehr autokratischer und undemokratischer Regime in Süd- und Osteuropa ist die geopolitische Brisanz deutlich geworden, die eine mögliche Destabilisierung auch in Bezug auf die EU haben könnte und hat als Notwendigkeit an Fahrt aufgenommen. Der Europäische Rat hat im Oktober 2023 in der Granada-Erklärung Albanien, Nordmazedonien, Bosnien und Herzegowina, Moldau, Georgien und die Ukraine eine Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Kandidatenstatus erhalten.
Als BAG Frieden und Internationales begrüßen wir diese Entscheidung, um eine starke, demokratische und geeinte Europäische Union zu schaffen und Europa gegen russische, aber auch eine chinesische Einflussnahme zu stärken. Wir wollen sowohl diesen Erweiterungsprozess fördern als auch institutionelle Reformen der EU unterstützen, die eine große europäische Union werteorientiert, demokratisch und beschlussfähig hält. Damit die Erweiterung gelingt, muss vor allem eine Demokratisierung und Stabilisierung des Westbalkans vorangetrieben und der russische Einfluss zurückgedrängt werden.
Zwei Sicherheitsmandate
Regionale und nationalistische Partikularismen haben zunehmend an Schärfe gewonnen, sofern sie seit dem Zerfall bzw. Jugoslawienkrieges überhaupt verschwunden waren. Dabei werden Ethnien bzw. Minderheiten von Nachbarstaaten und unter Einflussnahme von Russland für ihre politischen Interessen instrumentalisiert. Ungewiss bleibt auch ein möglicher Einfluss von Donald Trump, sollte er die Wahlen gewinnen.
Gäbe es kein internationales Mandat, das eine bewaffnete Auseinandersetzung verhindert, könnte ein Krieg auf dem Kosovo oder in Bosnien und Herzegowina (BiH) ausbrechen. Deshalb müssen die beiden UN-Mandate zur Friedenssicherung weiterhin gesichert und bei Bedarf schnell ausgeweitet werden.
Nationalistische Bewegungen in den jeweiligen Staaten
Südosteuropas Staaten sind historisch durch Erfahrungen des Irredentismus, Separatismus und Revisionismus geprägt worden. Nationalistische Parteien und ihre Repräsentanten, die Verbindungen zu Russland haben, inszenieren auf der Basis dieser Erfahrungen zwischenstaatliche Reibungen, Nationalitäten- oder Grenzkonflikte. Sie problematisieren dabei Minderheiten, die sie zu Sicherheitsproblemen aufbereiten. Die territoriale Integrität von Staaten wird infrage gestellt, während Selbstbestimmungsrechte von Ethnien, Minderheiten oder Religionsgruppen dafür instrumentalisiert werden. Zum einen wird in den vielen kleinen Staaten darüber eine antieuropäische Stimmung gefördert, die eine Aufnahme in die Europäische Union blockieren.
- Bulgarien blockiert den Beitritt Nordmazedoniens aufgrund der bulgarischen Minderheit, gewährt aber seiner nordmazedonischen Minderheit nicht die Rechte, die es vom Beitrittskandidaten einfordert. Russland übt Einfluss über die die alten DS-Netzwerke (DS - Darshawna sigurnost) im Außenministerium und im Beraterkreis des Präsidenten aus. Auch die bulgarischen nationalistischen Parteien, die den Konflikt ständig anheizen, in denen viele alte Kader der Staatssicherheit sind, bedienen im Streit mit Nordmazedonien strategische Interessen Russlands auf dem Balkan.
- Montenegro ist als bisher prowestliches und proeuropäisches Westbalkan-Land durch Einflussnahme zunehmend gespalten und steht an einem Scheideweg. Die amtierende Regierung wird von einer Koalition proserbischer und prorussischer Parteien getragen. Diese erklärten Putin-Anhänger sprechen sich indirekt gegen Montenegros 2006 ausgerufene Unabhängigkeit von Serbien aus und lehnen die EU-Integration wie auch die seit 2017 bestehende NATO-Mitgliedschaft des Landes ab. Sie plädieren für eine enge Anbindung Montenegros an Serbien, sind gegen Kosovo als unabhängigen Staat und leugnen den Völkermord von Srebrenica. Sie und ihre Parteien stellen damit alles in Frage, was zur Staatsräson und Identität Montenegros gehört. Serbische Nationalisten fordern die Verfassung in eine Ethno-Föderation der beiden größten Ethnien, der Montenegriner und der Serben, umzuwandeln, ähnlich wie in Bosnien und Herzegowina.
- Serbiens autoritäre Tendenzen und Verbindungen zu Russland haben seit den Präsidentschaftswahlen 2017 deutlich zugenommen. Aufgrund der unfairen Wahlen wird Serbien als hybrides oder kompetitives autoritäres Regime bezeichnet. Die serbische Regierung und serbisch-nationalistische Kräfte fordern weiterhin den Zusammenschluss aller Serben unter dem Begriff der „Serbischen Welt“, um ihre Hegemonie über die post-jugoslawischen Gebiete ausüben. Serbien betrachtet den Kosovo weiterhin als Teil seines Territoriums und beruft sich auf die historische Bedeutung für das serbische Nationalbewusstsein. Unruhen durch Boykott von Kommunalwahlen, ein Truppenaufmarsch an der Grenze zum Kosovo und sogar ein bewaffneter terroristischer Überfall in Banjska hatten aber kaum internationale Konsequenzen zur Folge. Unterstützt wird Serbien von Ländern wie Russland, China und fünf EU-Mitgliedsstaaten, die die Unabhängigkeit Kosovos als völkerrechtswidrig ansehen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker aus innenpolitischen Gründen ablehnen.
- Mit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos 2008 bleibt der Konflikt mit seinem nördlichen Nachbarn ungelöst. Auch die zugesprochene Autonomie der serbischen Gemeinden im Nordkosovo wurde von der kosovarischen Regierung nicht umgesetzt. 2023 verhing die EU hat Sanktionen gegen Kosovo nachdem Ministerpräsident Albin Kurti im Konflikt um den Nordkosovo eine harte Linie verfolgte. Aufgrund eines Wahlboykottes der Serben hat Kurti die durch die verbliebenen Stimmen der Kosovaren gewählten Bürgermeister unter Polizeischutz und Schutz von KFOR-Truppen in ihr Amt einziehen lassen. Trotz dieser Maßnahmen bleibt Kurti bei seiner Strategie, was den Konflikt weiter verschärft. Die EU sowie die USA fordern, dass Kurti seine Spezialpolizei abzieht und Neuwahlen in den vier serbisch dominierten Gemeinden organisiert.
- In Bosnien und Herzegowina (BiH) hat der Friedensvertrag von Dayton zwar weitere kriegerische Auseinandersetzungen beendet und garantiert den Erhalt des Staates von Bosnien und Herzegowina. Der Oberste Hohe Repräsentant (OHR) hat dabei die Aufgabe den Frieden in BiH zu bewahren und besondere Befugnisse, die er für eine Demokratisierung der gesamtstaatlichen Strukturen einsetzen darf.
Kritisch betrachtet, hat Dayton den Konflikt lediglich eingefroren und die ethnische Teilung in der Verfassung von Bosnien und Herzegowina verankert, in welcher nur die drei staatstragenden Ethnien in den zwei Entitäten mit Selbstbestimmungsrechten aufgeführt sind. Trotz der Grundsatzurteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR), die allesamt bestätigen, dass die derzeitige Verfassungsordnung Juden, Roma und andere Minderheiten ("ostali") diskriminiert und nicht mit europäischem Recht vereinbar ist, hat sich der Zustand nicht geändert. Rund 400.000 Bürger*innen, die nicht zu den staatstragenden Ethnien zählen, werden marginalisiert und ihrer politischen Rechte beraubt.
Der Präsident der Entität Republika Srpska, Miloran Dodik, strebt trotz großer Autonomie- und Selbstbestimmungsrechte unter der Führung von Belgrad einen revisionistischen Zusammenschluss aller Serben auf dem Westbalkan an und hält gute Kontakte zu Moskau.
Er leugnet den Völkermord in Srebrenica und begeht jährlich er die Parade zum "Tag der Republika Srpska", der rechtlich illegal ist und an die versuchte Abspaltung der Serben und den Kriegsbeginn 1992 erinnert.
Parallel dazu werden in der bosnischen Herzegowina radikal-völkische Rufe nach einer eigenen Entität durch den HDZ-BIH Politiker Dragan Covic stärker. Auch hier werden revisionistische Kriegsziele aus den 1990er Jahren reaktiviert, die eine positive Entwicklung sowie eine zügige EU-Integration verhindern sollen. Unterstützung finden diese Destabilisierungen durch das EU-Mitglied Kroatien, das die völkische Politik von Ex-Präsident Franjo Tudjman neu belebt und weitreichen Einflussnahmen in das politische System Bosniens vorantreibt. Dabei geht es immer wieder auch um das seitens Kroatiens ventilierten falschen Narratives, dass die kroatische Bevölkerungsgruppe in Bosnien benachteiligt sei, die de facto in vielerlei Hinsicht überrepräsentiert ist.
Politische Forderungen
Der Schutz von Minderheitenrechten und die Förderung von Versöhnung und Integration ist entscheidend für langfristigen Frieden und Stabilität in multiethnischen Gesellschaften. Die internationale Gemeinschaft muss weiterhin eine aktive Rolle spielen, um diese Ziele zu erreichen und die Prinzipien des Völkerrechts zu wahren. Die Region braucht kompetente Hilfe, wobei die EU durch Nachgiebigkeit gegenüber Serbiens Führung und Fehleinschätzungen die wahren Probleme nicht löst. Es braucht eine nachhaltige diplomatische Offensive seitens der EU, um auf dem Westbalkan eine demokratische und sichere Perspektive zu gewährleisten.
Für eine dauerhafte Stabilisierung müssen wir die Wiederherstellung und den Erhalt der multiethnischen Staaten, die Anwendung des Selbstbestimmungsrechts und das Prinzip der Unantastbarkeit der Grenzen immer wieder als zentralen Punkt herausstellen.
In BiH müssen die komplizierten regionalen Wahlen und ihre Verwaltungsstruktur vereinfacht werden. Selbstbestimmte staatliche und demokratische Verfassungsreformen sind erforderlich, um die Blockaden innerhalb des Staates zu überwinden. Ausgewiesene Verfassungsexpert*innen und Völkerrechtler*innen können für die jeweiligen Staaten Reformen vorschlagen, die allen ihren Bürger*innen gleiche Rechte und Teilhabe ohne Diskriminierung gewähren. Umgekehrt gilt es, Verhältnisse wie Dayton oder Minsk in Regionen, wie Montenegro oder Nordmazedonien, zu verhindern.
Serbien und Kroatien und sowie alle weiteren EU-Staaten müssen dazu verpflichtet werden, jegliche Ansprüche und hegemonialen Einmischungen in Nachbarstaat zu unterlassen.
Einflussnahmen auf Minderheiten durch Nachbarstaaten lassen sich als hybride Kriegsführung ansehen und als mahnendes Beispiel mit den angeblichen Sezessionisten im Donbas vergleichen. Ziel jener Kräfte ist, politische Entscheidungen auf staatlicher Ebene zu blockieren oder eine Sezession zu erreichen. Diese Praktiken dienen bei betroffenen EU-Beitrittskandidaten dazu sowohl den Aufnahmeprozess zu blockieren und die Europäische Union zu schwächen. Da sezessionistische Interessen eine fortschrittliche Entwicklung blockieren, können Initiativen aus dem Inneren nicht erfolgreich sein. Dabei werden Menschen, die einer Minderheit angehören instrumentalisiert, die sich in gewaltsame Spannungen entladen können. Wir möchten diese Instrumentalisierung als Methode der Destabilisierung bewusstmachen, damit besonders der russische Einfluss, meist in Verbindung mit alten kommunistischen Sicherheitsapparaten deutlich wird.
Wir müssen gemeinsam gegen Desinformation und hybride Angriffe vorgehen, um eine Beeinflussung der Mitglieder und der Beitrittskandidaten zu verhindern und Kriterien der Beitrittskandidaten in Richtung Demokratie, Rechtstaatlichkeit und einer gemeinsamen europäischen Zukunft stärken. Unabhängige Medien müssen nach journalistischen Standards gestärkt und soziale Medien vor einseitigen Machteinflüssen und manipulativen Eingriffen geschützt werden.
Wir unterstützen einen selbstbestimmten, aber auch „inklusiven“ Ansatz, der jegliche Diskriminierung vermeidet und die vollen politischen Rechte aller Bürger*innen in einem Staat ermöglicht und ihnen ihre Rechte als Minderheit in Bezug auf ihre Sprache und Kultur gewährleistet, da den Beitrittskandidaten die Aufnahme in die EU sonst verwehrt bleibt.
Nur wenn diese hybriden Methoden zur Destabilisierung erkannt werden und Einhalt geboten wird, kann sich eine echte Demokratisierung entwickeln und ein demokratischeres Zusammenwachsen über die Ethnien hinaus ermöglicht werden.
Grundlage einer künftigen Westbalkanpolitik der EU und der Bundesrepublik sollte sein:
1. Das allgemeine Völkerrecht und das Prinzip der staatlichen Souveränität
2. Eine klare Absage an die völkischen Ideologien (Propagierung von Kollektivrechten), die zu den Balkankriegen geführt haben und nun eine Neubelebung der Agenden vorantreiben (Srpski Svet/Kroatische Entität u.a.)
3. Die Implementierung europäischen Rechts (EGMR Urteile zu Bosnien)
4. Die Implementierung demokratischer Grundprinzipien ohne Kompromisse
5. Das Bürger*innenprinzips (als Gegenmodell zum völlkisch basierten Ethnonationalismus)
6. Eine strategische Partnerschaft mit demokratischen Kräften, mit Menschenrechts- und Umweltaktivist*innen, die die Gesellschaften des Westbalkan in eine demokratische Zukunft führen wollen
7. Eine Berücksichtigung der Opferseite (etwa Opfer sex. Gewalt der Balkankriege und ihrer Kinder, Srebrenica-Überlebende etc). Vielfach sind sie neuerlich den Tätern ausgesetzt, da diese wieder oder noch immer in der Politik aktiv sind.
8. Eine Stärkung der Sicherheitslage von Rückkehrern (etwa in der Republika Srpska)
9. Eine klare Absage an alle revanchistische Tendenzen in der Region (Greater-Power-Ansätze und Einflussnahmen seitens Belgrad, Tirana, Zagreb).