Veranstaltung: | Tagung BAG Frieden & Internationales | 26. - 28. August 2022 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 6 Antragsberatungen |
Antragsteller*in: | Tobias Balke |
Status: | Abgelehnt |
Abstimmungsergebnis: | Ja: 2, Nein: 23, Enthaltungen: 4 |
Eingereicht: | 05.08.2022, 23:26 |
A6: Für einen baldigen Waffenstillstand und einen umfassenden Frieden zwischen der Ukraine und Russland durch das Engagement der Vereinten Nationen, des Westens, Chinas und weiterer Staaten
Antragstext
Wir fordern:
die Bundesregierung soll mit den Regierungen verbündeter Staaten die Initiative
ergreifen und gemeinsam zu Waffenstillstandsverhandlungen einladen.
An diesen Waffenstillstandsverhandlungen sollen die VN, die Ukraine, Russland,
China, USA, Großbritannien und die EU (mit einem Verhandlungsmandat von
möglichst vielen EU-Mitgliedstaaten) teilnehmen, möglichst auch die AU, Indien
und die Schweiz.
Die gemeinsame westliche Verhandlungseinladung soll vor allem die folgenden
Vorschläge enthalten:
die Kampfhandlungen werden eingestellt,
Russland und die Ukraine räumen alles umstrittene Territorium (Krim,
Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja), direkt durch die VN
geführte, von China und möglichst auch von der AU, Indien, Österreich
und/oder der Schweiz gestellte Friedenstruppen mit robustem VN-Mandat
sowie von den VN entsandte Richter*innen, Staatsanwält*innen,
Polizist*innen und Zivilverwaltende übernehmen die Sicherung,
ein VN-Schiedsgericht entscheidet bei Bedarf verbindlich und mit direktem
Weisungsrecht an Friedenstruppen, Verwaltung und Polizei über die
Auslegung von Waffenstillstandsbedingungen,
der Waffenstillstand wird unverzüglich zu Friedensverhandlungen genutzt.
Deutschland und verbündete Staaten sollen gemeinsam den eingeladenen
Verhandlungspartner*innen für die Friedensverhandlungen vor allem folgendes
vorschlagen:
Russland, China, die Nato-Staaten und die Ukraine (eventuell plus weitere
Staaten) schliessen möglichst umfassende Rüstungskontrollabkommen für
nukleare und konventionelle Waffen,
die Ukraine erhält ihr gesamtes Territorium (Krim, Donezk, Luhansk,
Cherson, Saporischschja) zurück,
Russland stimmt ausdrücklich einem eventuellen EU-Beitritt der Ukraine zu
und die Ukraine verzichtet ausdrücklich auf die Nato-Mitgliedschaft,
die Ukraine erhält umfassende Wiederaufbau- und Transformationshilfe,
besonders die Finanzierung und notfalls Schenkung der vollständigen
Umstellung seiner gesamten Energieproduktion auf 100% erneuerbare
Energiequellen und verpflichtet sich, gleich bei Inbetriebnahme
erneuerbarer Energie-Anlagen entsprechend viel Öl-, Gas- und
Kohleförderung endgültig stillzulegen,
Russland erhält das vollständige Ende der 2014 und 2022 verhängten
Sanktionen,
Russland erhält die Vorfinanzierung und notfalls Schenkung der
vollständigen Umstellung seiner gesamten Energieproduktion auf 100%
erneuerbare Energiequellen und verpflichtet sich, gleich bei
Inbetriebnahme erneuerbarer Energie-Anlagen entsprechend viel Öl-, Gas-
und Kohleförderung endgültig stillzulegen,
Russland erhält umfassende Garantien für Minderheitenrechte der
russischsprachigen Ukrainer*innen und für einen garantierten
Autonomiestatus der Regionen Krim, Donezk, Luhansk, Cherson und
Saporischschja und verpflichtet sich zu analogen Minderheitenrechten für
die ukrainischsprechenden Bürger*innen Russlands,
alle Personen, die das umstrittene Territorium ab 2014 verlassen mussten,
und ihre Kinder erhalten ein garantiertes Rückkehrrecht,
dieser Friedensvertrag wird durch Referenden angenommen.
Begründung
- folgt -
Kommentare
Tobias Balke:
1. die Bundesregierung soll mit den Regierungen verbündeter Staaten die Initiative ergreifen und gemeinsam zu Waffenstillstandsverhandlungen einladen.
A. Hier ist als erstes darzulegen,
dass weder (a.) ein vollständiger militärischer Sieg der Ukraine noch (b.) ein vollständiger militärischer Sieg der Russischen Föderation noch (c.) die Erschöpfung beider Kriegsparteien einen echten, dauerhaften Frieden schaffen kann,
dass (d.) dieser Konflikt aber auch nicht „eingefroren“ bzw. „eingehegt“ werden kann,
sondern (e.) gelöst werden muss. Und das schnell,
und dass deswegen (f.) mit der gegenwärtigen russischen Regierung verhandelt werden muss.
a. Zwar ist es vorstellbar, dass die Ukraine durch die höhere Motivation und den höheren Mobilisierungsgrad ihrer Kämpfer*innen und durch zukünftige sehr umfangreiche Lieferungen und den konsequentem Einsatz von weitreichenden, zielgenauen Distanzwaffen alle besetzten Teile der Ukraine einschliesslich der Krim militärisch befreien und von da an - durch Positionierung dieser Distanzwaffen direkt an ihrer Grenze - jede weitere Annäherung russischer Angriffswaffen (bis auf relativ wenige schnelle Mittelstreckenraketen) verhindern könnte. Aber das würde nicht zu einem dauerhaften Frieden führen.
Denn an diesem Punkt den Kampf aufzugeben, käme für die russische Regierung einer Selbstaufgabe gleich. Spätestens mit der Räumung der Krim müsste die russische Regierung eine militärische Niederlage von politisch entscheidender Tragweite eingestehen, Vor den augen der Welt und aller Bürger*innen Russlands. Angesichts der zentralen politischen Bedeutung der Ukraine hätten sich die Machthabenden von einem grossen verlorenen Krieg Konsequenzen auszurechnen wie diejenigen, die ab 2017 Dynastie und Eliten des Zarenreiches trafen: einen endgültigen und selbst die physische Existenz gefährdenden Legitimationsverlust. Dies wird zweifellos auch Putin klar sein und dem wird er vorbeugen wollen.
Russland kann auch ohne Atombombeneinsatz Eskalationsschritte gehen, die der Westen nicht proportional erwidern könnte. Das gilt zunächst für eine Freisetzung starker radioaktiver Strahlung aus einem ukrainischen AKW (oder mehreren), womit Putin vor allem in Saporischschja unmissverständlich droht. Er kann an dieser Schraube immer weiter drehen.
Putin kann aber auch darauf setzen, dass voraussichtlich bereits die Ankündigung eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs mit taktischen Atombomben Selenskij zum Halte-Befehl bringen würde. Wenn diese Drohung wirkt, hätte Putin Atomwaffen weltöffentlich statt als letztes Verteidigungsmittel für den äußersten Notfall als Waffe zum Angriffskrieg vorgeführt, und zwar als eine sehr „brauchbare“.
Putin hat seine deutlich höhere Risikobereitschaft schon unter Beweis gestellt: der Westen war 2013 in Syrien und 2014 in der Ukraine nicht zur militärischen Konfrontation bereit. Putin könnte sich deswegen nach wie vor gute Chancen ausrechnen, dass der Einsatz russischer taktischer Atombomben, wenn er denn tatsächlich erfolgen würde, unerwidert bleiben könnte. Dies würde etwaige Drohungen für die ukrainische Regierung sehr glaubwürdig machen.
Selbst im scheinbar allergünstigsten Fall - Putin gibt auf und tritt zurück bzw. wird durch Putsch bzw. Palastrevolution gestürzt und die nächste russische Regierung unterschreibt einen Vertrag mit voller Anerkennung der ukrainischen Unabhängigkeit, ihres uneingeschränkten Rechtes auf Bündniswahl und ihrer völkerrechtlichen Grenzen – wäre der Krieg nur zeitweise unterbrochen. Alle, die gegenwärtig in Russland Macht haben, und die meisten Oligarchen haben auch ohne Putin ein sehr starkes Interesse, ihre persönliche Macht und ihren persönlichen Reichtum nicht durch einen gut funktionierenden Rechtsstaat und eine freiheitliche Demokratie gefährden zu lassen, und dazu die Skrupellosigkeit und starke Machtmittel, um dieses Interesse auch durchzusetzen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gäbe es nur einen kurzen demokratischen „Zwischenakt“(kürzer als unter Jelzin) und sehr bald hätte Putin Nachfolger*innen, die sich ungestört oligarchisch bereichern und zur Ablenkung und Absicherung autoritär-nationalistisch herrschen wollen. Die umfassende Revision dieses Kriegsergebnisses wäre zwangsläufig ihr strategisches Hauptziel. Ein durch eine schwere Niederlage im Ukrainekrieg stark geschwächtes, im Westen verfemtes Russland geriete durch seine Revanchewünsche und seine ökonomische, technische und demographische Schwäche notgedrungen in die Abhängigkeit Chinas, optisch als Juniorpartnerin, faktisch als destruktives Instrument.
b. Zwar ist es auch vorstellbar, dass Russland die Ukraine militärisch vollständig erobert und von da an mit Methoden beherrscht, die den stalinschen Umgang mit „abtrünnigen“ Nationen an erbarmungsloser Härte und Grausamkeit noch übertreffen. Immer noch sind die russischen Streitkräfte zahlenmässig deutlich überlegen (viele Vergleichszahlen über https://www.globalfirepower.com ). Dies wird für den Fall einer russischen Generalmobilmachung durch demographisches Übergewicht und eine umfangreiche eigene rüstungsindustrielle Basis mit einzelnen Spitzenprodukten untermauert. China kann, wenn seine Regierung es will, russische technologische Defizite schnell ausgleichen. Vor allem aber könnten die internen Kosten der westlichen Sanktionen - rasante Preissteigerungen, akuter Energiemangel, Unternehmenszusammenbrüche – zu Wahlergebnissen (oder deren Erwartung) führen, die die führenden westlichen Staaten zum Einstellen ihrer Militärhilfe bewegen. Ohne ständigen Nachschub würde für die Ukraine ein weiterer militärischer Widerstand physisch unmöglich.
Aber auch das würde keinem dauerhaften Frieden bewirken. Nicht einmal dann, wenn eine vollständige Resignation des Westens, was das Schicksal der Ukraine und der Ukrainer*innen angeht, ihn zu einer offiziellen Anerkennung einer vollständigen Annexion und regimekonformen, in ihren Konsequenzen tendenziell genozidalen „Verdauung“ der Ukraine bringen würde. Selbst dies würde die speziellen Sicherheitsbedürfnisse Putins, seines Umfelds und ggf. der ihm direkt Nachfolgenden nicht auf Dauer saturieren: mindestens das Baltikum und Finnland blieben aus imperial-nationalistischen Gründen buchstäblich „naheliegend“ erscheinende strategische Ziele.
Ein vollständiger Sieg Putins im Ukrainekrieg würde ihm diese nächsten Eroberungsziele auch als durchaus erreichbar erscheinen lassen. Denn er würde die vollständige und was die Ukraine angeht endgültige Niederlage des Westens der aus seiner Sicht eindeutig höheren Leidensbereitschaft der Russ*innen und seiner eigenen eindeutig höheren Risikobereitschaft zuschreiben. Ihm würde die Annahme nahe liegen, dass – wenn es hart auf hart käme – der Westen für Est*innen, Lett*innen, Litauer*innen und Finn*innen wohl auch nicht mehr wagen und ertragen würde als im Ukrainekrieg für die Ukrainer*innen.
Ein putinscher Sieg über die Ukraine würde jahrzehntelang alle angrenzenden europäischen Staaten zu einer Zone der Angst machen. Sie würden ihren ganzen Überlebenswillen einsetzen, um eine möglichst feste und intensive westliche Blockbildung herbeizuführen und durch militärische Hochrüstung die angezweifelte Einsatzbereitschaft soweit es geht wettzumachen.
c. Zwar ist es auch vorstellbar, dass jahrelange, verlustreiche Kämpfe bei mehr oder weniger fluktuierender Frontlinie die militärischen und menschlichen Ressourcen beider Seiten so weit erschöpfen, dass beide Kriegsparteien sich eingestehen, keine realistische Aussicht auf einen kriegsentscheidenden Sieg unter für sie tragbaren Risiken mehr zu haben. Aber auch das würde keinen dauerhaften Frieden bewirken. Dafür sind die Interessengegensätze der Ukrainer*innen und der Ukraine einerseits, der gegenwärtigen russischen Regierung andererseits zu groß. Die beste Mediation oder Moderation von Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen könnte dies weder aufheben noch überspielen. Daher können bilaterale ukrainisch-russischen Verhandlungen den Konflikt nicht lösen. Sie würden auf absehbare Zeit zu keinem dauerhaften Frieden und vermutlich noch nicht einmal zu einem längere Zeit haltbaren Waffenstillstand führen. Es wäre bloss eine Feuerpause unter prekären Bedingungen und auf ungewisse Dauer.
d. Generell schafft das „Einfrieren“ von Konflikten latente Gefahrenzonen. Sie können im Prinzip jederzeit wieder „heiß“ werden und tragen in sich Keime für zukünftige Kriege. Im Innern autoritär regierter Staaten liefern sie ständig eine Begründung für ein politisches „Spannungsklima“ mit konfrontationserwartender Aufrüstung und massiver Repression. Viel besser ist es also, Konflikte nicht einzufrieren, sondern dauerhaft zu lösen. - Das gilt ganz besonders für Konflikte, wo eine (Israel-Palästina, Russland-Georgien.. ) oder sogar beide Konfliktparteien (Indien-Pakistan, Indien-China..) atomar bewaffnet sind. Und es gilt erst recht für den hier vorliegenden Konflikt.
Der Westen könnte es zwar der Ukraine zur Bedingung für seine Unterstützung machen, bei den Demarkations- bzw. Waffenstillstandslinien vom 23. 2. 2022 erst einmal halt zu machen.
Er könnte versuchen, dies als eine Art „Kompromissfrieden“ auszubauen. Dies liefe auf eine De-facto-Verfestigung der russischen Gewaltherrschaft in den entsprechenden Teilen des Donbas und auf der Krim hinaus, ergänzt durch die Zusage einer Nicht-Bewerbung der Ukraine um Nato-Mitgliedschaft oder statt dessen die Nato-Ablehnung jedes zukünftigen ukrainischen Beitrittsgesuches. - Käme eine Sanktionsaufhebung hinzu, dann könnte Putin das eventuell „innerrussisch“ als „Sieg“ verkünden, wenn er es denn wollte. Aber selbst wenn er dieses vom Westen erzwungene ukrainische Angebot erst einmal akzeptieren würde, könnte dies aus seiner Sicht und nach seinem Bedarf eigentlich nur eine Abschlagszahlung sein. Die Ukraine könnte sich nicht mit der Amputation ihres Südostens abfinden, die von ihr erwungene Nicht-Natomitgliedschaft würde nach einem derartigen Kriegsverlauf und Kriegsergebnis als Schutzlosigkeit empfunden. Umgekehrt wäre aus national-imperialistischer Kreml-Sicht das westliche Einlenken und Teil-Opfern der amputierten und zwangsneutralisierten Ukraine eine ständige Einladung, bei der nächsten günstig erscheinenden Gelegenheit das eigentliche Kriegsziel wieder aufzunehmen und dem ukrainischen Staat und der ukrainischen Nation nach dem nächsten Krieg durch Zwangs-Russifizierung den Rest zu geben. Auch das wäre kein dauerhafter Friede.
e. Die vier in den Absätzen a. bis d. skizzierten möglichen Kriegsverläufe haben gemeinsam, dass an ihrem Ende jeweils das spannungsgeladen lauernde Gegenüber zweier die gesamte nördliche Hemisphäre umfassender Staatengruppen stände, nämlich freiheitliche Demokratien einerseits, autoritäre Hegemonialstaaten und deren Satelliten andererseits.
Eine neue, weltumspannende Blockbildung mit massiver Aufrüstung der mächtigsten Staaten und Staatengruppen wäre eine gigantische Fehlallokation und eine ungeheure Verschwendung knapper und für die weltweite sozial-ökologische Transformation dringend benötigter Ressourcen – Geld, Arbeitskräfte und weltweite Aufmerksamkeit. Sie würde weltweit Kraft und Engagement von den globalen Herausforderungen Klimakatastrophe und globaler sozialer Gerechtigkeit abziehen und aufsaugen.
Noch schlimmer: sie machte den tatsächlichen Ausbruch eines grossen Atomkrieges als größtes in Menschenhand liegendes und die Menschheit bedrohendes Risiko sehr viel wahrscheinlicher.
Die Risiken wären noch erheblich höher als im Kalten Krieg 1945 – 1990. Damals förderte die für beide Seiten weltanschaulich leicht begründbare Erwartung, langfristig auch ohne Weltkrieg zu siegen, Geduld und Zurückhaltung soweit, dass es zu keinem Atomkrieg und in Europa auch zu keinem konventionellen Krieg kam. So viel Grundvertrauen in die innere Stärke und Rechtmässigkeit der eigenen welthistorischen Mission ist diesmal nicht zu erwarten.
Ausserdem wird ohne echten Frieden für die Ukraine die Zahl der Atommächte deutlich weiter ansteigen, damit die Wahrscheinlichkeit eines Krieges zwischen Atommächten.
Bereits das Eskalationsrisiko in diesem Krieg ist erheblich. Die Furcht vor einer atomaren Eskalation wird z.T. übertrieben. Sie wird auch von der russischen Regierung absichtlich geschürt und instrumentalisiert. Dennoch ist sie in der gegebenen Lage – leider! - im Kern rational und angebracht. Bereits die ständige Gefährdung des AKW Saporischschja kann zur Eskalation führen.
Gegen russische Drohungen mit massenvernichtenden Schritten könnte die Ukraine massive Gegenschläge androhen. Z.B. sind die relativ grenznahen russischen AKWs potentiell innerhalb der Reichweite ukrainischer ballistischer Raketen und Marschflugkörper, eventuell auch von aus der Luft abgeworfener Bomben. Ukrainische Vergeltungsschläge gegen russische AKWs wären zwar ein Verzweiflungsschritt. Aber es ist alles andere als gewiss, dass die ukrainische Regierung nach einer großflächigen atomaren Verseuchung von Teilen der Ukraine „die andere Wange hinhalten“ würde. - Käme es dazu, wäre – neben der russischen Generalmobilmachung – ein russischer Atomangriff auf (mindestens) eine ukrainische Großstadt zu befürchten. Es könnte Lwiv sein.
Würde dies wirklich geschehen und bliebe der westliche Vergeltungsschlag aus oder wirkte er nicht abschreckend genug, könnte das ab sofort jede andere Atommacht als Ermutigung verstehen, ihrerseits Atombomben gegen Verbündete des Westens einzusetzen oder damit zu drohen. Atomwaffen würden dadurch noch attraktiver, nicht nur zum Eigenschutz, sondern zur Bedrohung von anderen Staaten. - Es kann für einen solchen Fall aber auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass es zu einem westlichen Vergeltungsschlag mit aus Sicht der russischen Regierung so gravierenden Folgen kommt, dass sie ihrerseits mit atomaren Schlägen auf Nato-Gebiet reagiert und dass dies zum Beginn eines menschheitsvernichtenden, biosphärenruinierenden grossen Atomkriegs wird.
Bei Risiken mit sehr grossen Schadenshöhen ist es zwingend geboten, sie auch bei als sehr klein geschätzter Eintrittswahrscheinlichkeit sehr ernst zu nehmen und ihnen, wenn irgend möglich, wirksam vorzubeugen.
Der gegenwärtige Krieg kann aber auch indirekt, durch seine mittelbaren Folgen zum Auslöser für einen biosphärenruinierenden, menschheitsvernichtenden grossen Atomkrieg in den kommenden Jahrzehnten werden.
Denn durch ihre Unterschrift unter das Budapester Memorandum ist die Ukraine, wie nun allgemein bekannt ist, ganz erhebliche Risiken für ihre eigene Bevölkerung und ihre Staatlichkeit eingegangen. Bleibt es dabei, wirkt ihre Entscheidung von 1994 als stark abschreckendes Beispiel. Ein Verzicht auf Atomwaffen muss sich eben auch für das verzichtende Land "lohnen", sonst wird auf lange Zeit kaum ein anderer Staat dazu bereit sein.
Deswegen ist es dringend geboten, die volle territoriale Integrität der Ukraine wieder herzustellen, und zwar möglichst bald. Dafür sollen sich alle politisch Handelnden nach Kräften einsetzen. Der Sieg der Ukraine ist nicht „nur“ ein Gebot der Gerechtigkeit und Menschlichkeit, sondern objektiv hat die gesamte Menschheit ein vitales Interesse, ihr dazu zu verhelfen. Die ukrainische Weigerung, die Krim aufzugeben, ist nicht nur legitim, sie ist für den Weltfrieden erforderlich.
Die Ukraine sollte durch
- die vollständige Wiederherstellung ihrer territorialen Integrität,
- vertrauensbildende Garantien ihrer Souveränität,
- angemessene Entschädigungen für ihr 1994 eingegangene Kriegsrisiko und ihre Kriegsopfer
in eine Lage kommen, die möglichst allen Staaten den Entschluss leichter macht, ebenfalls auf eigene Atomwaffen zu verzichten. Dies ist möglich, wenn sie diesen Schritt auch und grade mit Blick auf das Schicksal der Ukraine als für sie zumutbar und perspektivisch sinnvoll bewerten können.
Es ist absolut notwendig und absolut geboten, einen Atomkrieg zu vermeiden - aber eben nicht nur für diesen Krieg und die nächsten Jahre, sondern für die nächsten Jahrzehnte und für zukünftige Kriege. Jede verantwortungsbewusste Friedenspolitik muss sich zum Ziel setzen, mittel- und langfristig die Wahrscheinlichkeit eines grossen Atomkriegs abzusenken, soweit es nur geht und möglichst auf Null. Daher muss sowohl eine Eskalation dieses Krieges zum Atomkrieg verhütet als auch kriegsfolgenbedingte spätere „Ausbrüche“ von Atomkriegen vorgebeugt werden.
Daraus folgt, plakativ ausgedrückt: „damit es Frieden gibt, muss die Ukraine siegen und darf Russland nicht verlieren“. Das bedeutet konkret:
Die Ukraine muss alle wesentlichen Kriegsziele erreichen und die gegenwärtige russische Regierung muss zum Ausgleich dafür machterhaltende Kompensationen anderer Staaten und Staatengruppen bekommen.
Darüber muss verhandelt werden, bevor die Eskalationsgefahr weiter ansteigt. Also schnell.
f. Die Verhandlungen müssen zügig angesetzt und durchgeführt werden. Daher müssen sie notgedrungen mit der gegenwärtigen russischen Regierung geführt werden. Einfach zu hoffen und abzuwarten, ob vielleicht ein Umsturz die Russische Föderation zu einer besseren Verhandlungspartnerin macht, ist nicht zu verantworten, und noch weniger das hochriskante Unternehmen, einen Umsturz in Russland von aussen zu initiieren.
Putin kann einen menschheitsvernichtenden Atomkrieg auslösen. Und solange er das kann, muss mit ihm als Staatsoberhaupt einer Supermacht verhandelt werden.
Er sollte als Mann behandelt werden, dessen angeschlagene Gesundheit den (ihm immer möglichen) Griff zum roten Knopf wahrscheinlicher gemacht haben kann.
Dies legt eine vorsichtshalber "therapeutisch", "de-radikalisierend" und „integrierend“ angelegte Verhandlungsführung nahe. Die Verhandlungen müssen die russische Führung formal, also durch direkte Gespräche mit den mächtigsten Staatenlenkenden der Welt und substanziell durch hinreichend attraktive Angebote "auf Augenhöhe" behandeln.
Dies macht den Friedensschluss schwer, weil kein freiheitlich-demokratisches, sondern ein autoritär regiertes Russland verhandelt und weil die russische Regierung ihre Interessen als die russischen behandeln kann und wird. Machterhalt und Straffreiheit für sie selbst und ihre wichtigsten Handlanger gehören dazu, dies gehört zu den Opfern, die für diesen Frieden gebracht werden müssen. - Das ist ein sehr bitterer Befund für alle, die den Menschen in der russischen Föderation eine bessere Regierung und den Menschen in der Ukraine die Ahndung aller Kriegsverbrechen wünschen. -
B. Als zweites ist hier darzulegen, dass (a.) die Vermittlung starker Staatengruppen und Staaten zwingend erforderlich ist, um Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen tatsächlich erfolgreich zu machen, wobei die vermittelnden Mächte grosse politische Leistungen selbst anbieten und erbringen und vor allem bereit und in der Lage sein müssen, die existenzielle Gefahr, in die sich die russische Regierung für jeden echten Friedensschluss mit der Ukraine begeben muss, durch ganz wesentliche und dauerhafte Sicherungen für den Großmachtstatus Russlands, seine Sicherheit und seine Finanzen mindestens auszugleichen,
und dass (b.) dazu weder der Westen allein, noch China allein, noch weitere Staaten noch die Vereinten Nationen allein fähig wären, sondern nur diese Staaten und Staatengruppen gemeinsam.
a. Sollen Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland gelingen, dann brauchen sie das Engagement durch starke Vermittler*innen, die beiden Seiten aus eigener Kraft starke positive Anreize glaubwürdig zusagen können. Alle einigermassen realistischen Hoffnungen auf einen haltbaren Waffenstillstand und einen dauerhaften Frieden hängen davon ab. Schutz vor grossen Gefahren muss garantiert, schwer wiegende Verluste müssen kompensiert und schwer fallende Verzichte ausgeglichen werden.
Die russische Föderation muss endgültig auf die Option verzichten, sich ihr größtes und ressourcenreichstes europäisches Nachbarland einzuverleiben.
Die russische Regierung muss endgültig auf die Option verzichten, das zur Nachahmung verlockende Beispiel einer prosperierenden, freiheitlich-demokratischen Ukraine zu verhindern.
Wenn aber die Ukraine wirklich in eine Lage kommt, in der immer mehr Russ*innen sagen. „Wir wollen es auch so gut haben wie die Ukrainer*innen!“, dann gefährdet das massiv die Macht, den Reichtum und die persönliche Sicherheit der in Russland gegenwärtig Herrschenden, nicht sofort, aber zu ihren Lebzeiten. Mit allen Fasern ihres Herzens werden sich die Machthabenden Russlands dagegen sträuben.
Ihre Zustimmung zu diesem grossen, mittelfristig die politische Existenz riskierende Verzicht ist nur gegen mindestens ebenso schwer wiegende Kompensationen für Russland und für die russische Regierung erreichbar.
Zwei für Russland – auch aus Sicht seiner gegenwärtigen Regierung - ausserordentlich wertvolle Gegenleistungen lassen sich „zum Ausgleich“ anbieten; beide liegen ausser im russischen auch im vitalen Interesse aller übrigen Menschen:
- alle vorhandenen Rüstungskontrollabkommen, KSE, INF, Open-Skies, New Start, PMDA .. sollen wiederbelebt bzw. verlängert werden und ausgeschiedene Vertragsstaaten zurückkehren.
Dies soll durch umfassende Abrüstungsabkommen – mit Limitierungen auch für Rüstungsindustrie und Rüstungsforschung - und weitere vertrauensbildende Verträge ergänzt werden.
- die gesamten Energiewende in Russland soll durch vollständige Vorfinanzierung und notfalls Schenkung umgehend in Gang kommen und zügig zu 100% erneuerbarer Energiegewinnung - bei simultaner Stilllegung atomar-fossiler Anlagen – voranschreiten. So kann Russland seinen gesamten Eigenbedarf und alles, was es zum Energieexport in gegenwärtigem Umfang benötigt, in absehbarer Zukunft klimafreundlich erzeugen.
Beide Kompensationen zusammen bringen die Russische Föderation in eine komfortable Lage.
Die russische Regierung kann sich sicher sein, auch nach Friedensschluss dauerhaft "auf Augenhöhe" behandelt zu werden, in den nächsten Jahrzehnten nicht "totgerüstet" zu werden und nach dem langfristig gesehen unvermeidlichen Ende des fossilen Zeitalters nicht zu verarmen, daher auch keine „Macht zweiten Ranges“ werden zu müssen. Bei ruhiger Betrachtung liegt hierin für Russland viel mehr Wohlstand und Sicherheit als in jeder real möglichen Eroberung.
b. Der Westen allein kann das nicht leisten – schon weil er aus russischer Sicht selbst Konfliktpartei ist. Dies gilt selbstverständlich auch für einzelne westliche Staaten oder die EU. Putin stellt den russisch-ukrainischen Krieg als Stellvertreterkrieg mit der Nato da.
Seit dem Generalversammlungsbeschluss vom 3. 3. haben aus Sicht einer oder beider Kriegsparteien so gut wie alle Staaten und Staatenbünde Partei genommen, zuerst durch ihr Abstimmungsverhalten, dann durch ihre Beteiligungen an Sanktionen einerseits, umfangreiche Käufe russischen Öls und Gases (China, Indien..) andererseits. Die VN selbst und ihr Generalsekretär sind in russischer Darstellung seit dem 3. 3. auch parteiisch, und wäre sie es nicht, dann würde für sie dasselbe gelten wie für die – bis jetzt nicht Partei nehmende - Afrikanische Union: ihre reale Macht reicht bei weitem nicht zur Friedensvermittlung.
Daher hat nur eine Kombination von starken Staaten und Staatengruppen „aus beiden Lagern“ Aussicht, als insgesamt einigermassen unparteiisch von beiden Konfliktparteien akzeptiert zu werden.
Vor allem müssen die Vermittelnden Schutz vor grossen Gefahren garantieren, Kriegsverluste kompensieren und schwer fallende Verzichte ausgleichen.
Davon muss als erstes die US-Regierung überzeugt werden. - Die USA hat das Wettrüsten mit der Sowjetunion für sich entschieden, dass war einer der wichtigsten Gründe für die Implosion des Sowjet-Imperiums und der Sowjetunion. Aber sie sollte – auch in ihrem eigenen Interesse – keine derartige Strategie weiterverfolgen. Und das nicht nur, weil der gegenwärtigen russischen Führung bei drohender Niederlage der Griff zum roten Knopf, anders als Gorbatschow, vermutlich nahe läge. Der USA sollte ausserdem einsehen, dass bei einem Rüstungswettlauf mit China mittel- und langfristig ihr Sieg aus ökonomischen und demografischen Gründen fraglich und jedenfalls nicht garantiert wäre. - Großbritannien soll als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats und als Unterzeichnerin des Budapester Memorandums teilnehmen. - China muss in jedem Fall als Partnerin in Abrüstungsabkommen mit einbezogen werden. Ohne chinesische Teilnahme wären sonst bald Russland und mittelfristig auch der Westen China militärisch unterlegen. Auch China hat ein vitales Interesse, dass der Krieg nicht nuklear eskaliert. Die KPCh-Führung überlegt in der Regel rational und konsequent genug, um vitale Interessen zu erkennen und entsprechend zu handeln. - Zu den übrigen mit-vermittelnden Staaten und Staatengruppen siehe 5. b. -
Die Vereinten Nationen allein haben die Autorität und die Fähigkeit zur Koordination dieser Kombination und zur Organisation und Instruktion der für die Waffenstillstandsphase nötigen Organe.
Die USA und Großbritannien müssen für sich selbst verhandeln, die EU-Mitglieder sollten möglichst die EU für sie sprechen lassen.
C. daher sollen die deutsche Regierung und die Regierungen der EU-Staaten und der übrigen westlichen Staaten tätig werden. Zusammen sind sie stark genug für diese friedensstiftende Initiative. Ihre mit der Einladung ausgesprochene gemeinsame Bereitschaftserklärung wird die Eingeladenen dazu bringen, sich ernsthaft auf Waffenstillstandsverhandlungen in der gleich erläuterten Konstellation einzulassen.
2. An diesen Waffenstillstandsverhandlungen sollen die VN, die Ukraine, Russland, China, USA, Großbritannien und die EU (mit einem Verhandlungsmandat von möglichst vielen EU-Mitgliedstaaten) teilnehmen, möglichst auch die AU, Indien und die Schweiz.
Verhandeln sollen die Kriegsparteien und diejenigen Staaten und Staatengruppen, die zur Friedensstiftung und Friedenserhaltung gegründet (VN) und für Waffenstillstandsverhandlungen unentbehrlich (beide Kriegsparteien, USA, EU, China,) und von denen für den Erfolg besonders wertvolle Beiträge zu erwarten sind AU, Indien, die Schweiz plus eventuell einige weitere Staaten).
3. Die gemeinsame westliche Verhandlungseinladung soll vor allem die folgenden Vorschläge enthalten:
Es folgen vier Eckpunkte für gemeinsame westliche Vorschläge, die implizit auch westliche Verhandlungsziele sein und zu Waffenstillstandsvertrags-Eckpunkten werden sollen.
4. die Kampfhandlungen werden eingestellt,
Eine Feuerpause während der Waffenstillstandsverhandlungen ist unerlässlich, denn sonst könnten die Kriegsparteien laufend auf Stärkung ihrer Verhandlungspositionen durch neue militärische Erfolge setzen und jeder Angriff einer Seite müsste von der anderen als Grund für militärische Gegenangriffe gewertet werden. Die Gefahr eskalierender Verläufe wäre ständig gegeben, die Verhandlungsbereitschaft der Kriegsparteien könnte daher bald erodieren.
5. Russland und die Ukraine räumen alles umstrittene Territorium (Krim, Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja), direkt durch die VN geführte, von China und möglichst auch von der AU, Indien, Österreich und/oder der Schweiz gestellte Friedenstruppen mit robustem VN-Mandat sowie von den VN entsandte Richter*innen, Staatsanwält*innen, Polizist*innen und Zivilverwaltende übernehmen die Sicherung,
a. Sobald der Waffenstillstand vereinbart ist, muss er für die gesamte Dauer der Friedensverhandlungen gesichert werden. Eine blosse Beobachtungs- und Überwachungsmission in einer entmilitärisierten Pufferzone wäre bei diesem Kriegsverlauf und angesichts dieser Kriegsparteien viel zu unsicher. Daher sind Friedenstruppen notwendig, die beide Kriegsparteien zuverlässig trennen. Sie müssen ein robustes Mandat haben und militärisch stark genug sein, um einzelne militärische Angriffsaktionen (zu austestenden oder provozierenden Zwecken) schnell zu beenden. Sie müssen von Staaten gestellt werden, deren politisches Gewicht beiden Kriegsparteien hoch genug ist, um diese nicht durch einen Angriff auf deren Truppen zu neuen, zusätzlichen Gegnern machen zu wollen.
b. China würde dafür als kommende Supermacht an sich schon reichen. Aber China hat in diesem Konflikt erhebliche Eigeninteressen. Die müssen so ausbalanciert werden, dass mit der Möglichkeit auch die Versuchung zu parteilicher Einflussnahme auf das umstrittene Territorium gegen Null gebracht wird. Daher müssen ausser China auch andere starke Staaten und Staatengruppen mindestens ebenso starke Verbände entsenden. Als atomar bewaffnete Regionalgroßmacht, die im eigenen Interesse Chinas schnell wachsende Macht eindämmen muss und will, ist Indien besonders geeignet. Weil Indien zwar „grösste Demokratie der Welt“ ist, aber seine Regierung (vor allem wegen „blockfreier“ Tradition, früherer umfangreicher Käufe russischer Waffen und gegenwärtiger lukrativer Öl- und in naher Zukunft Gasgeschäfte mit Russland, eventuell auch noch wegen eigener autoritären Neigungen) momentan eher zugunsten der russischen Kriegspartei agiert, sollten mindestens ebenso viele Soldat*innen westlicher Staaten hinzu kommen. Als für beide Seiten vertrauenserweckend qualifizieren sich am besten Nicht-Nato-Staaten mit klar proukrainischer Position – die Schweiz und/oder Österreich, eventuell auch Australien und/oder Neuseeland. - Als kontinentalweite, in der internen Friedenserzwingung und -sicherung erfahrene und in diesem Krieg neutrale Regionalorganisation sollte auch die Afrikanische Union starke Truppen ihrer Mitgliedsländer beitragen. Eine militärische VN-Führung muss mit direktem Kommando das einheitliche und zuverlässig verhandlungssichernde Vorgehen dieser Friedenstruppen organisieren.
c. Von den VN ausgewählte Fachkräfte für Polizei und Justiz müssen während der Friedensverhandlungen kriegsmotivierte Straftaten in dem umstrittenen Territorium verhüten bzw. ahnden und kriegsbedingte Rechtsstreitigkeiten in dem umstrittenen Territorium entscheiden. Denn vor einem Friedensschluss würden dort weder ukrainische noch russische Richter*innen, Staatsanwält*innen und Polizist*innen allgemein anerkannt. Ausserdem würden deren fortgesetzte bzw. wiederaufgenommene Amtshandlungen als De-Facto-Vorentscheidung über den zukünftigen Status des Territoriums gewertet und liessen sich daher nicht konsensual vereinbaren. - Für die Leitungen von Regional- und Kommunalbehörden kann ein ähnliches Verfahren erforderlich werden.
d. Der (potenziell prestigeträchtige, bei Bedarf auch durch Kostenerstattungen zu ermöglichende) Auftrag zur Stellung von Soldat*innen, Richter*innen, Staatsanwält*innen und Polizist*innen (plus Verwaltungsfachkräften) kann nebenbei für die entsendenden Staaten und Staatengruppen auch als zusätzlicher Anreiz dienen, sich in den Friedensverhandlungen kontinuierlich und konstruktiv zu engagieren.
e. Zur russischen „Gesichtswahrung“ gehört auch, dass nicht nur russische, sondern auch ukrainische Truppen mit dem Waffenstillstand das von Russland beanspruchte ukrainische Territorium räumen, egal, wo die Frontlinie dann grade verläuft.
6. ein VN-Schiedsgericht entscheidet bei Bedarf verbindlich und mit direktem Weisungsrecht an Friedenstruppen, Verwaltung und Polizei über die Auslegung von Waffenstillstandsbedingungen,
Das einheitliche und zuverlässig verhandlungssichernde Verhalten der VN-mandatierten und geführten Soldat*innen, Richter*innen, Staatsanwält*innen und Polizist*innen (plus Verwaltungsfachkräfte) muss auch dann gesichert sein, wenn die Auslegung einzelner Waffenstillstandsbedingungen umstritten ist. Dafür ist ein VN-Schiedsgericht erforderlich und geeignet.
7. der Waffenstillstand wird unverzüglich zu Friedensverhandlungen genutzt.
Das Engagement der waffenstillstandsvermittelnden Staaten und Staatengruppen und die Verhandlungsbereitschaft beider Kriegsparteien soll unmittelbar in Friedensverhandlungen münden, um deren Erfolg nicht durch zwischenzeitliche Störungen und Ablenkungen zu gefährden und weil ihr Erfolg sowohl aus friedensschaffender wie klimaschützender Sicht sehr dringend ist und möglichst schnell erfolgen soll. Allenfalls für die direktdemokratische Mandatierung umfassender Friedensverhandlungen (siehe 17. c.) ist eine kurze Zwischenpause angebracht.
8. Deutschland und verbündete Staaten sollen gemeinsam den eingeladenen Verhandlungspartner*innen für die Friedensverhandlungen vor allem folgendes vorschlagen:
Es folgen neun Eckpunkte für gemeinsame westliche Vorschläge, die implizit auch westliche Verhandlungsziele sein und zu Friedensvertrags-Eckpunkten werden sollen.
9. Russland, China, die Nato-Staaten und die Ukraine (eventuell plus weitere Staaten) schliessen möglichst umfassende Rüstungskontrollabkommen für nukleare und konventionelle Waffen,
Umfassende Rüstungskontrolle und Abrüstung der wichtigsten Militärmächte finanziert - bilanziell - problemlos einen grossen Teil der weltweiten sozial-ökologischen Transformation. Dies erleichtert nebenbei auch die direktdemokratische Zustimmung in den vertragsvermittelnden Staaten zu den jeweiligen nationalen Beiträgen für die finanziellen Leistungen an die Ukraine und an Russland.
Dies ist der bestmögliche Beitrag zu Verhinderung eines Atomkriegs und für einen konstruktven Umgang mit den globalen Herausforderungen Klimakatastrophe und globaler sozialer Gerechtigkeit.
10. die Ukraine erhält ihr gesamtes Territorium (Krim, Donezk, Luhansk, Cherson, Saporischschja) zurück,
das muss so sein, siehe 1.A.e.
11. Russland stimmt ausdrücklich einem eventuellen EU-Beitritt der Ukraine zu und die Ukraine verzichtet ausdrücklich auf die Nato-Mitgliedschaft,
Eine Zustimmung der russischen Regierung zur Nato-Mitgliedschaft der Ukraine zu verlangen wäre nahezu aussichtslos. Zwar ist objektiv eine Atommacht mit vielfach gesicherter Zweitschlagfähigkeit für jeden anderen Staat unangreifbar. Nüchtern betrachtet, würde eine ukrainische Nato-Mitgliedschaft die Sicherheit Russlands nicht unsicher machen, noch nicht einmal Stationierungen von atomar nutzbaren Raketen anderer Nato-Ländern in der Ukraine. Eine durch Flugzeitenminimierung bewirkte Nicht-Abfangbarkeit von „Enthauptungsschlägen“ läge viel eher an Fluggeschwindigkeiten als an Russlands Grenze nahen Startpunkten. Russland kann die USA und China nicht an der Entwicklung von Hyperschall-Trägerraketen hindern, die noch schneller und wendiger als die russischen Spitzenprodukte fliegen. Technisch gesehen, verliert grade für einen grossen Atomkrieg „strategische Tiefe“ ihren (relativen) Wert und damit u.a. auch das ostmitteleuropäische „Glacis“ der früheren Sowjetunion seine strategische Bedeutung.
Subjektiv aber wirkt eine historische Grunderfahrung Russlands, die massive Existenzbedrohung vor allem durch die mongolischen und deutschen Invasionen (zwischenzeitlich aufgefrischt durch polnisch-litauische, schwedische, napoleonische, englisch-französische und Entente-Invasionen) nach. Als Folge dieser traumatischen Erfahrungen bleibt eine anscheinend kollektiv weit verbreitete Tendenz, jeden militärisch angriffsfähigen potentiellen Gegner möglichst weit fern halten zu wollen und daher möglichst viel russisch dominiertes Vorfeld zwischen Russland und andere militärisch ernstzunehmende Mächte legen zu wollen.
Die Nato gilt offensichtlich nicht bloss bei Kremlbewohnenden als gefährliches antirussisches Militärbündnis. Russischer Nationalismus fasst seine Expansionswünsche als eine Art „präventiven Imperialismus aus virtueller Notwehr“ auf und dies motiviert die Machthabenden und ihre Massenbasis.
Der ausdrückliche Verzicht der Ukraine auf die Nato-Mitgliedschaft ist aber eine ganz wesentliche Konzession, für die eine annähernd gleichwertige russische Konzession gefordert werden kann und soll. Der EU-Beitritt der Ukraine bietet sich an; Russland soll dies ausdrücklich anerkennen und nachfolgend alle Störversuche unterlassen. - Als EU-Mitgliedsland kann die Ukraine dann mit Zuversicht auf die weitere Entwicklung sehen. Zu ihrer militärischen Sicherheit sollte die EU-Beistandsklausel vorher auch auf beitrittskandidierende Länder ausgedehnt und konkretisiert werden und die USA und Großbritannien sollten bereit sein, ihre Zusagen des Budapester Memorandums zu bekräftigen.
12. die Ukraine erhält umfassende Wiederaufbau- und Transformationshilfe, besonders die Finanzierung und notfalls Schenkung der vollständigen Umstellung seiner gesamten Energieproduktion auf 100% erneuerbare Energiequellen und verpflichtet sich, gleich bei Inbetriebnahme erneuerbarer Energie-Anlagen entsprechend viel Öl-, Gas- und
Kohleförderung endgültig stillzulegen,
Die Ukraine braucht und verdient umfassenden Beistand auch nach dem Friedensschluss. Zu den „angemessenen Entschädigungen für ihr 1994 eingegangene Kriegsrisiko und ihre Kriegsopfer“ (siehe 1.A.e.) gehört zweifellos eine schnelle und vollständige Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen – mindestens in dem Russland zu gewährenden (siehe 14.) Umfang, dazu selbstverständlich Enttrümmerung, Minenräumung und Dekontamination der Kampfgebiete, die verkehrwendenkompatible Erneuerung ihrer Verkehrsinfrastruktur, ein umfangreiches Bauprogramm, Investitionen in die Industrie und wohl auch Ko-Finanzierung von Transferleistungen.
13. Russland erhält das vollständige Ende der 2014 und 2022 verhängten Sanktionen,
Diese Sanktionen können eventuell schon, als Bestandteil des Waffenstillstandsvertrages, für die Dauer der Friedensverhandlungen in wesentlichen Teilen vorläufig aufgehoben werden. Ihre vollständige Aufhebung aber sollte – schon aus Motivationsgründen - dem Friedensvertrag vorbehalten sein. Der muss dann mit dem Grund der Sanktionen auch den Sanktionen selbst ein Ende machen, um als umfassend und endgültig akzeptiert zu werden.
14. Russland erhält die Vorfinanzierung und notfalls Schenkung der vollständigen Umstellung seiner gesamten Energieproduktion auf 100% erneuerbare Energiequellen und verpflichtet sich, gleich bei Inbetriebnahme erneuerbarer Energie-Anlagen entsprechend viel Öl-, Gas-
und Kohleförderung endgültig stillzulegen,
Energiewende weltweit ist nur mit Russland zu haben. Die fossilen Lagerstätten in Russland und in für Russland zugänglichen Teilen der Arktis allein würden schon ausreichen, um die Erdüberhitzung um mehrere Zehntelgrade näher an globale Kipppunkte zu bringen.
Russisches Erdöl, russisches Erdgas, russische Kohle werden bedauerlicherweise in den nächsten zehn bis dreißig Jahren verkäuflich bleiben und für weitere zwei bis drei Jahrzehnte ganz erhebliche Deviseneinnahmen ermöglichen. Bei einer Blockkonfrontation hätte die gegenwärtige russische Regierung und ihre direkten Nachfolger*innen keine Hemmungen, fossil-atomar weiterzuwirtschaften. Sollen die Treibhausgase im Erdboden bleiben, müssen die daraus erzielbaren Hochrisiko-Einnahmen der russischen Regierung erstattet werden. Dieses Lösegeld muss als Energiewende-Leistung aufgebracht werden. Die Gegenverpflichtung, Zug um Zug entsprechend viel Öl-, Gas- und Kohleförderung endgültig stillzulegen, rechtfertigt diese – sehr erblichen - Kosten für die finanzierenden Vermittler als Wahrnehmung der eigenen und gesamt-menschheitlichen Überlebensinteressen. - Der grosse Vorteil für die russische Regierung: die Staatseinnahmen bleiben dauerhaft auf der gewohnten Höhe, auch wenn fossile Energiequellen versiegen.
15. Russland erhält umfassende Garantien für Minderheitenrechte der russischsprachigen Ukrainer*innen und für einen garantierten Autonomiestatus der Regionen Krim, Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja und verpflichtet sich zu analogen Minderheitenrechten für die ukrainischsprechenden Bürger*innen Russlands,
Soweit die Vorwürfe und Befürchtungen wegen angeblicher Diskriminierungen russischsprachiger Bürger*innen in der Ukraine nicht nur völlig aus der Luft gegriffen und als teils erlogenen, teils wahnhaften Vorwand für den brutalen Angriffskrieg missbraucht wurden, sondern reale Ursachen haben, werden sie mit dieser Regelung für die Zukunft ausgeräumt. Die Ukraine garantiert hiermit die Gleichberechtigung der Muttersprache sehr vieler ihrer Bürger*innen, auch als erste Bildungs- und Amtssprache in den Regionen und Kommunen, wo dies mehrheitlich gewünscht wird.
Die Bestimmung „die russischsprachigen Bürger*innen der Ukraine haben ab dem Friedensschluss in der Ukraine Minderheitenrechte gleichwertig denen der ukrainischsprechenden Bürger*innen Russlands in Russland und umgekehrt“ ist dabei für beide Seiten gleichermassen gesichtswahrend. - Mit den Minderheitenrechten für die ukrainischsprechenden Bürger*innen Russlands ist übrigens generell die Tür für ein gutes Stück Rechtsstaatlichkeit, freie Medien und sich selbst organisierende Zivilgesellschaft in Russland einen breiten Spalt weit geöffnet, auch für russischsprachigen Bürger*innen Russlands, die in Zukunft Vergleichbares für sich selbst verlangen können.-
16. alle Personen, die das umstrittene Territorium ab 2014 verlassen mussten, und ihre Kinder erhalten ein garantiertes Rückkehrrecht,
Sehr viele Menschen, die fliehen mussten, werden zurückkehren wollen. Das werden viele von ihnen aber erst dann wagen, wenn sie durch anhaltende positive Erfahrungen, wozu auch ein fairer Umgang mit ihren persönlichen Entschädigungs- und Restitutionsansprüchen gehören wird, hinreichend sicher sind, dass sie in ihrer alten Heimat Rechtssicherheit, angemessene Teilhabe und friedliches Zusammenleben erwarten können. Dies werden sie gewiss auch und besonders mit Blick auf die Lebenserwartungen ihrer Kinder beurteilen wollen, einschliesslich der Kinder, die an ihren Zufluchtsstätten geboren wurden.
17. dieser Friedensvertrag wird durch Referenden angenommen.
a. Auf das Wort der gegenwärtigen russischen Regierung ist offensichtlich kein Verlass. Es ist leider zu erwarten, dass Putin direkte Nachfolger*innen ihm auch in dieser Hinsicht ähnlich sein werden.
Wenn aber statt der russischen Regierung eine solide Mehrheit der russischen Stimmberechtigten ihr Wort gibt, wenn also bei einem Bürger*innenentscheid in der Russischen Föderation über den Friedensvertrag abgestimmt und wenn er angenommen wird, dann ist die Lage ganz anders. Dann gibt es Grund zum Vertrauen. Denn dann wäre jeder Versuch einer russischen Regierung, den Friedensvertrag umzustürzen und wieder in die Ukraine einzumarschieren, eine Handlung gegen den erklärten Willen „des russischen Volkes“, des eigentlichen Souveräns und schon deshalb offensichtlich illegitim.
b. Mit ihrem „Ja“ erteilen die russischen Stimmberechtigten dann der gegenwärtigen, den Friedensvertrag aushandelnden russischen Regierung die politische „Entlastung“ für die friedensnotwendigen Konzessionen. Damit kann sich auch die russische Regierung sicher vor späteren Angriffen aus russisch-nationalistischer Ecke fühlen. – Der ukrainischen Regierung könnte eventuell ihre Zustimmung zu ukrainischen Konzessionen aus analogen Gründen leichter fallen.
c. Auch in den friedensvertragsvermittelnden Staaten sollen Referenden erfolgen. Die direktdemokratische Zustimmung zu den ganz erheblichen finanziellen Leistungen für die Ukraine und für Russland – von denen der Hauptteil von westlichen und ein erheblicher Teil von China aufzubringen ist – wird es den Regierungen und den sie tragenden Parteien wesentlich leichter machen, sich zu diesem grossen Schritt zu entschliessen – groß, weil die Finanzierung jahrelang einen erheblichen Teil der verfügbaren Einnahmen dieser Staaten erfordern wird. Die direktdemokratische Zustimmung zu den umfassenden Rüstungskontrollabkommen für nukleare und konventionelle Waffen ist ausserdem tendenziell ein Verzicht der jeweils Stimmberechtigten auf eine zukünftige auf militärische Übermacht gestützte Hegemonial- und Eroberungspolitik ihrer jeweiligen Nationalstaaten.
- Eventuell liesse sich schon, als Bestandteil des Waffenstillstandsvertrags, eine direktdemokratische Mandatierung umfassender Friedensverhandlungen vereinbaren. Falls ja, wäre dies implizit schon eine (bedingte) Zusage der russischen Stimmberechtigten zur friedlichen Koexistenz zweier gleichermassen souveräner Staaten mit endgültig vereinbartem Grenzverlauf und darüber hinaus in allen darüber abstimmenden Staaten eine deutliche Absichtserklärung der jeweils Stimmberechtigten, den Erfolg friedensfördernder, umfassender Rüstungskontrollabkommen zu wollen. Dies würde die spätere Annahme des fertigen Friedensvertrags durch eben diese Stimmberechtigten wahrscheinlicher machen und so den „Verhandlungsmut“ der jeweiligen Regierungen stärken. -