Veranstaltung: | Tagung BAG Frieden & Internationales I 24. - 25. Mai 2025 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 8 Berichte der LAGen und AGen |
Antragsteller*in: | LAG Baden-Württemberg |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 24.05.2025, 12:36 |
AP 2: Impulspapier zu aktuellen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik auf der Basis von Diskussionen in den LAG-Sitzungen BW vom 22. März und 21. Mai 2025
Antragstext
Zusammenfassung und Hintergrund
Mit diesem Papier soll versucht werden, die sich vor dem Hintergrund des
russischen Angriffskrieges auf die Ukraine kurzfristig stellenden existenziell
wichtigen außen- und sicherheitspolitischen Fragen, so aufzubereiten, dass eine
parteiinterne strukturierte Debatte möglich ist. Gleichzeitig soll es als
Argumentationshilfe dienen, wenn uns vorgeworfen wird, dass wir traditionelle
Grüne Positionen aufgegeben hätten. Dabei müssen wir neu definieren, wie wir uns
als Partei des Friedens aufstellen wollen. Denn darum geht es uns: um den
Frieden in Europa. Dabei muss unsere ur-grüne Überzeugung, dass zivile
Konfliktbearbeitung eine wichtige Rolle in der Außenpolitik zu spielen hat, auf
der Agenda bleiben.
Dieses Papier wird auf der LAG-Sitzung am 21. Mai 2025 verabschiedet. Es wird an
die LGS und die BAG Frieden & Internationales weitergeleitet. Alle LAG-
Teilnehmer sind außerdem aufgefordert, es in ihre Kreisverbände zu tragen und
dort eine Diskussion zu beginnen. Denn die Positionierung der Partei in diesen
zentralen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik sollte basisdemokratisch
erfolgen.
Voraussetzungen
Bei der Erarbeitung des Papiers ging die Schreibgruppe von folgenden
Voraussetzungen aus, die in der LAG-Sitzung vom 22. März 2025 als gegeben
festgestellt wurden:
- Äußere Sicherheit und somit der Schutz der freiheitlichen und liberalen
Lebensweise und der sozialen und kulturellen Errungenschaften ist das
oberste Gebot eines Staates.
- Angesichts des aggressiven Verhaltens Russlands und anderer Akteure, das
hybride Kriegsführung einschließt, ist es zwingend notwendig, uns
resilient und verteidigungsfähig zu machen, wenn wir unsere freiheitliche
und liberale Lebensweise bewahren und ausbauen wollen.
- Angesichts der Unzuverlässigkeit, was die bisherige Schutzmacht USA
angeht, müssen sich Deutschland und Europa autonom militärisch verteidigen
können.
- Angesichts dieser neuen Bedrohungen wird es eines neuen gesellschaftlichen
Konsenses bedürfen, was die Verteidigungsbereitschaft und -fähigkeit
angeht.
- Neben dem Aufbau einer glaubwürdigen Verteidigungsbereitschaft in
Deutschland, in enger Abstimmung innerhalb der NATO, der EU und mit
gleichgesinnten Partnern in der Welt, muss es parallel immer wieder
Angebote zur Kooperation und Abrüstung geben, auch im Verbund mit anderen
Staaten, die kein Interesse an der Militarisierung der Welt haben: z.B.
Indien, Japan, Australien.
- Die Grundlage jeder Friedens- und Sicherheitsordnung muss das Völkerrecht
und die internationale Zusammenarbeit sein.
Themen
Wir haben in diesem Zusammenhang sechs Themen identifiziert, zu denen wir uns
positionieren müssen:
1. Verteidigungs- und Entwicklungsbudget
Wir können nicht für Frieden, Freiheit und Sicherheit sein und uns von anderen
verteidigen lassen. Bei der Diskussion um die Verteilung der Ressourcen steht
für uns fest, dass das Verteidigungsbudget nicht zu Lasten des sozialen
Zusammenhalts erhöht werden darf, da dieser ein unabdingbarer Bestandteil
unseres demokratischen Systems ist.
Neben der Höhe des Verteidigungsbudgets in Prozent des BIP geht es auch um
Mittel für zivile Verteidigung und den Zivilschutz.
- Weitere Themen: Inwieweit soll die Rüstungsindustrie zum
Verteidigungsbudget beitragen (Abschöpfung von Übergewinnen)?
- Soll der Bedarf für Verteidigung nur anhand dessen ermittelt werden, was
zur glaubhaften Verteidigung innerhalb der NATO notwendig ist, oder auch
darüber hinaus, z.B. für internationale Einsätze außerhalb der NATO?
- In welchen Zeiträumen soll der Aufwuchs der Mittel für Verteidigung und
Resilienz erfolgen?
- Wie können wir die Arbeit des BMZ stärken und die Mittel der
Entwicklungszusammenarbeit entsprechend der Vorgaben des 0,7 % OPA Zieles
erhöhen?
2. Dienst an der Gesellschaft
Jeder verpflichtende Dienst an der Gesellschaft stellt einen erheblichen
Eingriff in die persönliche Freiheit dar und muss sehr gut begründet sein. Dabei
sind folgende Leitplanken unverrückbar: Gewissensfreiheit und Gerechtigkeit
(auch Generationengerechtigkeit), das heißt Verpflichtungen würden für jeden
deutschen Staatsbürger gleich welchen Geschlechts gelten, gleichgültig ob der
Dienst in Form eines Wehrdienstes oder Wehrersatzdienstes/Zivildienstes
geleistet wird.
Für soziale Einrichtungen könnten sich Vorteile ergeben, da junge Leute an diese
Einrichtungen herangeführt werden.
Bei einem Pflichtjahr für alle ergibt sich eine soziale und kulturelle
Durchmischung, die zum gesellschaftlichen Zusammenhang beiträgt.
Die Länge des Dienstes soll so ausgerichtet sein, dass eine Nutzung der
erlernten Fähigkeiten auch langfristig gewährleistet ist und bedarf einer
gesellschaftlichen Diskussion, die junge Menschen einbeziehen und zeitnah zu
einer Entscheidung kommen muss.
Bei einem allgemeinen Dienst für die Gesellschaft muss sich jede(r) fragen, wo
und wie sie/er zur Verteidigung der Demokratie und zum Wohlergehen des Staates
beitragen kann.
Die Diskussion um einen Wehrdienst und ein Pflichtjahr dürfen nicht davon
ablenken, dass vor allem die zivilgesellschaftliche Jugendarbeit insbesondere
die Freiwilligendienste gefördert werden muss. Viele junge Menschen engagieren
sich auch heute bereits und wollen dies auch verstärkt tun. Dafür wird aber eine
gute und ausreichende finanzielle Ausstattung der Freiwilligendienste benötigt.
Die heutigen Angebote eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres
bewegen sich weit unter der Bezahlung des Mindestlohns. Dies führt zum einen
dazu, dass die soziale Spaltung bei jungen Menschen zunimmt. Zum anderen sollten
junge Menschen nicht als billige Arbeitskräfte eingesetzt werden.
Der Wehrdienst und das Pflichtjahr müssen daher finanziell ausreichend
ausgestattet sein. Alle müssen in diesem System die Möglichkeit erhalten, genau
den Dienst zu erfüllen, der sie in ihrer persönlichen Lebensführung
weiterbringt. Ob es sich dabei um eine soziale, kulturelle oder ökologische
Alternative handelt, muss in der eigenen Entscheidung liegen.
Was den Wehrdienst angeht, so sind die derzeit vorhandenen personellen und
materiellen Ressourcen nicht ausreichend. Dies bedeutet, dass die Anzahl der
Wehrdienstleistenden vom Bedarf der Bundeswehr, von dessen Möglichkeiten zur
Umsetzung der Wehrpflicht, aber auch vor allem von den individuellen
Entscheidungen der Dienstpflichtigen abhängt. Dies kann zu einem Zielkonflikt
führen, wenn sich nicht genügend Menschen für den Wehrdienst entscheiden.
- Wie stehen wir zum “schwedischen Modell”: Erfassung aller jungen Männer,
aber Einberufung nur, wenn es nicht genügend Freiwillige gibt?
- Wie steht es um eine Reserve und deren ausreichende finanzielle und
materielle Ausstattung?
- Wie können wir die Finanzierung eines attraktiven Freiwilligendienst in
der Gesellschaft umsetzen und sie gleichberechtigt zum Militärdienst
gestalten (Freifahrkarte während des Dienstes, angemessenes Taschengeld,
Förderung der Unterkunft während des Dienstes etc.)?
3. Militärische Unterstützung der Ukraine
Oberste Richtschnur für uns: wir unterstützen die Ukraine, um sie zu befähigen,
ihre Bevölkerung zu schützen und Verhandlungen auf Augenhöhe zu führen, damit
ein dauerhafter Frieden entsteht. Nicht die Frage wer den Krieg gewinnt, steht
im Mittelpunkt, sondern dass die Ukraine ein unabhängiger Staat bleibt. Wir
entscheiden keinesfalls über die Köpfe der Ukrainer hinweg. Wir überlassen es
der Ukraine zu definieren, wann eine Verhandlungslösung zufriedenstellend ist
- Schließt diese Unterstützung Waffensysteme zu Land und in der Luft ein,
die weit in russisches Territorium vordringen können?
- Oder wäre dies zu gefährlich als Provokation von Russland (Hängen
Entscheidungen Putins überhaupt davon ab, was wir tun oder nicht tun?)?
Ist die Sanktionspolitik in der derzeitigen Form erfolgversprechend?
4. Sicherheitsgarantien für die Ukraine
- Soll Deutschland sich an einer Sicherheitsgarantie und evtl. einer
Friedensmission beteiligen und wenn ja, unter welchen Bedingungen?
- Gibt es bei Abgabe einer Sicherheitsgarantie einen Automatismus beim
Eingreifen, wenn RUS wieder attackieren sollte? Oder geben wir eine
Garantie ohne diesen Automatismus? Was wäre diese Garantie wert (siehe
Budapester Memorandum)?
- Soll sich Deutschland an einer Friedensmission nur dann beteiligen, wenn
sie auf einer Verhandlungslösung beruht bzw. international abgesichert ist
(VN-SR-Beschluss oder “Koalition der Willigen”)?
5. Soll der Nukleare Schutz von Frankreich und Großbritannien kommen?
Wenn sich Deutschland entscheidet sich unter einen (neuen) gemeinsamen nuklearen
Schutzschirm zu begeben (nach Ausfall des US-Schutzschirms oder in dessen
Ergänzung), benötigt dies eine entsprechende tiefgreifende Diskussion mit
weiteren ähnlich interessierten Staaten. Hier müsste gemeinsam die Ausgestaltung
eines solchen Schutzschirms entschieden und umgesetzt werden.
- Wie könnte eine solche Ausgestaltung aussehen?
- Was geschieht, wenn sich bei dieser Schutzmacht die innenpolitische Lage
so verändert, dass sie sich zurückzieht (z.B. Frankreich bei einer
Regierung der Rechten)?
- Sollen wir eine aktive Teilhabe anstreben, einschließlich einer
Stationierung auf deutschem Territorium? Würde ein solcher gemeinsamer
europäischer Schutzschirm die Verhandlungsmacht der EU stärken oder die EU
schwächen?
Eine solche Kooperation mit anderen Staaten darf uns jedoch nicht davon
abhalten, uns für vertragliche Regelungen zur Abrüstung und den
Atomwaffensperrvertrag einzusetzen.
6. Verteidigung auf Europäischer Ebene.
Sollten wir langfristig an europäischen Streitkräften arbeiten, einschließlich
eines gemeinsamen Führungskommandos? Denn zusammengenommen geben alle Länder der
EU mehr Geld für Rüstung aus als viele andere Staaten, ohne dass dies zu einer
effektiven Verteidigung führt. Auch wenn tatsächlich europäische Streitkräfte
eher in fernerer Zukunft liegt, sollten gemeinsame europäische
Verteidigungsprojekte (wie zB PESCO) bereits jetzt ausgebaut und insbesondere
auf die Kompatibilität der europäischen Armeen geachtet werden. Der
Luftverteidigung ist dabei besonderes Gewicht zu geben.
- Könnte man im Rüstungsbereich mit einer Koalition der Willigen (wie bei
Schengen und EURO) bei Rüstungsbeschaffung und Standardisierung
voranschreiten?
- Wollen wir einen gemeinsamen Europäischen Nachrichtendienst?
- Wie gehen wir mit zentrifugalen Kräften um bzw. mit Regierungen, die
unsere Werte nicht teilen?
- Wären gemeinsame europäische Schulden für die Verteidigungsfähigkeit mit
uns zu machen? Wichtiger erster Schritt wäre es, gemeinsam die Lücke in
der Hochtechnologie zu schließen, die Europa im Vergleich zu USA, CHN und
RUS hat.
- Wie steht es dabei um dual-use-Güter, der Wissenschaftsfreiheit, der
Forschung bei internationaler Zusammenarbeit und einer ausreichenden
Finanzierung der zivilen Forschung?
Ausblick: Chancen einer zukünftigen Friedenspolitik
Wir dürfen die Notwendigkeit und Chancen einer europäischen Friedenspolitik
nicht aus den Augen verlieren, trotz der aktuellen Bedrohungslage. Im Kontext
mit den europäischen Partnern und der Stärkung der UN-Strukturen wollen sich die
Grünen weiterhin für eine umfassende Friedenspolitik einsetzen und die Weichen
stellen für eine zukünftige europäische und weltweite Friedensordnung.
Wie muss eine Reform und Stärkung der UN-Strukturen aussehen, um eine
nachhaltige Entwicklung und Frieden auf der Welt zu gewährleisten? Wie kann der
Sicherheitsrat reformiert werden (Beendigung der Veto-Strukuren, Einbeziehung
aller Staaten)? Wie können zivile Strukturen gestärkt werden?
Wie kann Entwicklungspolitik als Instrument zum Friedenserhalt ausgebaut werden?
Wie kann das Ziel der 0,7 % - ODA Quote politisch erreicht werden? Wie kann der
Zivile Friedensdienst als Programm der Friedensstärkung weiter bekannt und
ausgebaut werden?
Weltweit sind zivilgesellschaftliche Initiativen für Menschenrechte und
Demokratie in Bedrängnis. Wie können wir Organisationen stärken, Kooperationen
fördern und Zivilgesellschaft als Teil von Friedensverhandlungen einbringen? Wie
kann die Leitlinie zur zivilen Konfliktbearbeitung der Bundesregierung und der
Vorrang ziviler Mittel bei der Krisenvorbeugung und -bewältigung in Krisenzeiten
umgesetzt werden? Wie können wir von einer „Kriegstüchtigkeit“ zu einer
„Friedenstüchtigkeit“ kommen und den Anspruch einer „Politik der Gewaltfreiheit“
(Grundsatzprogramm der Grünen) weiterhin umsetzen?
Begründung
Es handelt sich um keinen Antrag sondern ein Impulspapier für die weitere Diskussion.
Kommentare
Andreas Fleuter:
Ich finde es wichtig, die (sehr teure) Unterstützung nicht "mit der Gießkanne" zu vollziehen, sondern:
a) Lieferungen mit Bedingungen zu verknüpfen (z.B. Friedensthemen/ Zieldefinition Kriegsziele/ Verhandlungsbereitschaft/ Einsatzrestriktionen der Waffen etc.)
b) Effizienzmessung bisheriger Unterstützung (z.B. Was hat die Lieferung der /seinerzeit/ Panzerhaubitze 2000 gebracht? Ist dieses System überhaupt nutzbar? .. oder ggf. bereits Schrott? .. gibt es "unnütze Verschwendung" in dieser Unterstützung? Wir Geld wie beabsichtigt genutzt?)
Einvollkommen andrer Punkt ist neben allen "Rüstungsbudgets" eine Einrichtung eines gekoppelten "Friedensbudgets". Adressiert werden soll hiermit das gegenwärtige Defizit einen global möglichst neutralen Stelle, von der aus Politische Mediation/ Interessensausgleich/ Aussöhnung stattfinden kann: Konnte die UN dazu etwas beitragen? Was trägt der Papst dazu gerade bei? Welche möglichst unabhängige, neutrale oder äquidistante Instanz könnte diese Rolle übernehmen?
Ansonsten: Danke für den Impuls!!
Gruß
Andreas